24.4.1 Hochwasser- und Küstenschutz
Die wissenschaftliche Untersuchung von Hochwasser- und Küstenschutz ist bereits seit Jahrzehnten Gegenstand theoretischer Analysen und seit Jahrhunderten gelebte Praxis. Allerdings ergeben sich aus der Dynamik des Klimawandels für die Wissenschaft und die Praxis neue Herausforderungen.
Das Untersuchungsdesign basiert in der Regel auf einer Flut- bzw. Überflutungsmodellierung, um die betroffenen Gebiete zu identifizieren. Dann werden mittels verschiedener Schadensfunktionen, beispielsweise in Abhängigkeit von der Landnutzung oder dem vorhandenen Gebäudebestand, die direkten materiellen Schäden ermittelt. Gegebenenfalls werden ergänzend indirekte Schäden abgeleitet, die sich aus Wertschöpfungsverlusten und der Unterbrechung von Lieferketten ergeben. Darüber hinaus werden im Bereich der immateriellen Schäden Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit oder gefährdete Personen bzw. verlorene Menschenleben berücksichtigt. Allerdings werden diese immateriellen Schäden häufig separat betrachtet und nicht in der integrierten Analyse berücksichtigt. Schadensereignisse werden zudem sowohl ohne als auch mit Anpassungsmaßnahmen betrachtet, um den Nutzen von Maßnahmen anhand vermiedener Schäden ableiten zu können. Unsicherheiten in Bezug auf die Ergebnisse resultieren hier vornehmlich aus der Wahl der räumlichen Skala: Je größer diese ist, desto gröbere Annahmen müssen getroffen werden. Je kleiner diese ist, desto detaillierter fallen zwar die Analysen aus, jedoch laufen sie Gefahr, sektorale oder regionale Rückkopplungseffekte und Anpassungsmaßnahmen jenseits des Untersuchungsgebietes außer Acht zu lassen. Unter diesen Vorbehalten sind die Ergebnisse der im Folgenden aufgeführten Studien zu betrachten.
Die PESETA-Studie von Ciscar (
2009) unterscheidet fünf Regionen innerhalb der Europäischen Union, wobei Deutschland der Region nördliches Zentraleuropa zugeordnet ist. Die Bereiche Fluss- und Küstenhochwasser werden separat betrachtet. Bei Flusshochwässern werden für Temperaturanstiege von 2,5, 3,9, 4,1 und 5,4 °C im Zeitraum von 2071 bis 2100 deutlich höhere erwartete jährliche Schäden im Vergleich zum simulierten Basiszeitraum von 1961 bis 1990 ermittelt (Kap.
10). Sie liegen je nach Szenario zwischen 1,5 Mrd. und 5,3 Mrd. EUR und spiegeln direkte Schäden in Abhängigkeit von der Landnutzung und dem Wasserstand bei Hochwasser wider. Um die Schäden für verschiedene Meeresspiegelanstiege im Bereich „Küstenhochwasser“ (Kap.
9) zu untersuchen, werden Szenarien mit und ohne Anpassung generiert. Die Landnutzung an den Küsten wird als konstant angenommen. Als Auswirkungen des Klimawandels werden Landverluste und die Zahl der betroffenen Personen betrachtet. In einem beispielhaften Szenario mit starkem Meeresspiegelanstieg (58,5 cm) ergäbe sich für das nördliche Zentraleuropa ein Verlust von rund 900 Mio. EUR, der den Verlust an produktiver Landfläche widerspiegelt. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Verlust jedoch sehr klein, denn er liegt bei gut 0,01 %. Er lässt sich zwar durch Anpassung in Form von Küstenschutzinvestitionen noch weiter reduzieren, jedoch aufgrund der indirekten ökonomischen Effekte nicht eliminieren.
Die Folgearbeiten im Projekt PESETA III (Alfieri et al.
2015,
2017,
2018a,
b; Ciscar et al.
2019; Vousdoukas et al.
2018) adressieren aufbauend auf den vorhergehenden Arbeiten, welchen Einfluss der Klimawandel und die sozioökonomische Entwicklung auf die Zahl der gefährdeten Personen und die zu erwartenden jährlichen Schäden (
expected annual damage, EAD) hat. Es werden dabei sozioökonomische Pfade genutzt, um deren Rolle im Vergleich zum Status quo zu identifizieren und sowohl für Flusshochwasser als auch für Küstenhochwasser werden Resultate für die EU und für die einzelnen Länder generiert. Die Ergebnisse sowohl für die EU als Ganzes als auch für die meisten Nationen deuten darauf hin, dass der Klimawandel für sich genommen die erwarteten Schäden (und betroffenen Personen) im Vergleich zum Referenzzeitraum erhöht und dieser Effekt umso ausgeprägter ist, je stärker die Erwärmung ausfällt. Ferner wird gezeigt, dass Wirtschaftswachstum zwar insgesamt die Risiken und damit die erwarteten Schäden erhöht, jedoch vergrößere eine höhere Wirtschaftskraft auch die Anpassungskapazitäten, was einen abschwächenden Effekt mit sich bringe. Allgemein zeigt sich außerdem, dass die Bandbreite der Resultate gravierend ausfallen kann und mit stärkerem Temperaturanstieg zunimmt.
Für den Fall von Flusshochwasser werden drei Klimaszenarien (+1,5 °C, + 2 °C und +3 °C) in der nahen (2021–2050) sowie der fernen (2071–2100) Zukunft unterstellt und es erfolgt ein Vergleich zum Referenzzeitraum von 1976 bis 2005. Konkret für Deutschland werden die erwarteten jährlichen Schäden aus Flusshochwassern bei statischer Wirtschaft im Mittel mit etwa 1,5 Mrd. EUR (+1,5 und +2 °C) und etwa 1,8 Mrd. EUR (+3 °C) beziffert, verglichen mit einem Wert von etwa 0,7 Mrd. EUR im Referenzzeitraum. Die Bandbreiten der Schätzungen liegen dabei zwischen 0,6 und 2,5 Mrd. EUR (+1,5 °C) und zwischen 1,2 und 3,9 Mrd. EUR (+3 °C).
Im Hinblick auf Küstenhochwasser kommen Szenarien zum Einsatz, die RCP4.5 und RCP8.5 isoliert oder in Kombination mit sozioökonomischen Szenarien (SSP1, 3 und 5) betrachten und mit dem Basisjahr 2000 vergleichen. Exemplarisch werden für Deutschland im Referenzjahr zu erwartende jährliche Schäden von 40 Mio. EUR ermittelt. Im RCP4.5-Szenario bei statischer Wirtschaft steigt der Wert auf 260 (im Jahr 2050) bzw. 960 Mio. EUR (im Jahr 2100), im RCP8.5-Szenario sogar auf 290 (im Jahr 2050) bzw. 2,68 Mrd. EUR. Bei einer Begrenzung der Erwärmung auf 2 °C fallen die Resultate deutlich niedriger aus. Folglich sind auch hier die Konsequenzen des Klimawandels signifikant, erweisen sich aber als kleiner im Vergleich zu denjenigen der Flusshochwässer. Anzumerken ist, dass sich sämtliche genannten Ergebnisse nur auf direkte Schäden beziehen.
Die anschließenden Untersuchungen im Projekt PESETA IV (Dottori et al.
2020; Vousdoukas et al.
2020) entwickeln die verwendeten Methoden vor allem durch eine stärkere regionale Auflösung weiter und modifizieren dabei auch die Forschungsfrage. So werden zwar erneut die
expected annual damages (und die betroffenen Personen) in einem Referenzfall berechnet, es wird aber zudem untersucht, inwiefern Anpassungsmaßnahmen diese Schäden reduzieren könnten. Die unterstellten Klimaszenarien sind RCP4.5 und RCP8.5, wodurch die Temperaturanstiege von +1,5 °C, + 2 °C und +3 °C in verschiedenen Jahren realisiert werden, womit zugleich unterschiedliche Anstrengungen im Klimaschutz einhergehen. Erneut werden zusätzlich sozioökonomische Entwicklungspfade berücksichtigt. Für Deutschland ergeben sich für die Wirtschaft im Status quo jährliche erwartete Schäden (EAD) in Höhe von 922 Mio. EUR (Referenz), 1,7 Mrd. EUR (+1,5 °C), 2,4 Mrd. EUR (+2 °C) und 3,7 Mrd. EUR (+3 °C). Die EAD steigen bei künftigen sozioökonomischen Bedingungen im Jahre 2100 auf 2,8 Mrd. EUR (+1,5 °C), fast 4 Mrd. EUR (+2 °C) und fast 6 Mrd. EUR (+3 °C). Folglich fallen die EAD hier durchgängig höher aus als im Vorgängerprojekt. Es wird ferner gezeigt, dass Anpassungsmaßnahmen, wie Deichbau, Schaffung oder Erweiterung von Retentionsflächen, verbesserter Schutz von Gebäuden oder auch Umsiedelungen sinnvoll sind, da der Nutzen im Sinne vermiedener Schäden, zum Teil um ein Vielfaches, höher ausfällt als die Kosten der Maßnahmen.
Ähnlich verhalten sich die Ergebnisse in Bezug auf Küstenhochwasser: Im Referenzfall sind die EAD etwa 100 Mio. EUR, bei moderatem Klimaschutz 800 Mio. (2050) bzw. 2,7 Mrd. EUR (2100) und bei schwachem Klimaschutz 1,1 Mrd. (2050) bzw. 18,1 Mrd. EUR (2100). Anpassungsmaßnahmen im Sinne rechtzeitiger Investitionen in Deicherhöhungen haben stets Nutzen-Kosten-Raten von deutlich über Eins.
Rojas et al. (
2013) fokussieren auf den Bereich der Flusshochwasser in Europa. Sie differenzieren ihre Ergebnisse dabei nach Ländern. Genutzt wird ein hydrologisches Modell, das zur Schätzung Schadensfunktionen in Abhängigkeit von der Fluthöhe mit Informationen zur Landnutzung und der Bevölkerungsdichte kombiniert. Betrachtet wird ein Emissionsszenario (SRES A1B), das mit konsistenten Annahmen zum BIP- und Bevölkerungswachstum verbunden wird. Zudem werden Szenarien mit und ohne Anpassung betrachtet. Ermittelt werden nur die direkten Schäden für bestimmte Wiederkehrintervalle. Dabei werden beispielsweise für das Wiederkehrintervall von 100 Jahren im Zeitablauf steigende Schäden erwartet. Sie liegen bei jährlich 540 Mio. EUR (2000er-Jahre), 1,14 Mrd. EUR (2020er-Jahre), 1,38 Mrd. EUR (2050er-Jahre) und 2,92 Mrd. EUR (2080er-Jahre). Auch hier wird Anpassung als lohnende Investition eingeschätzt. Würde in Deutschland eine Anpassung an ein künftiges 100-jähriges Ereignis erfolgen, so würde dies laut Rojas et al. (
2013) Kosten von 170 Mio. EUR verursachen und den erwarteten Schaden deutlich reduzieren.
Für den Bereich der Flusshochwasser in Europa liegt mittlerweile eine ganze Reihe weiterer Publikationen vor (Kap.
10). Dies ist der Erwartung geschuldet, dass die Schadenspotenziale von wasserbedingten Ereignissen für Flusshochwasser übereinstimmend als besonders hoch eingeschätzt werden. Koks et al. (
2019a) zeigen dies beispielhaft für die EAD von Verkehrsinfrastrukturen infolge verschiedener Schadensereignisse (Oberflächen- und Flusshochwasser, Küstenhochwasser, Erdbeben, tropische Stürme). Neuere Veröffentlichungen, wie zum Beispiel Koks et al. (
2019b), erweitern die Betrachtung, indem auch indirekte Effekte der Hochwasserereignisse einbezogen werden. Zunächst werden direkte Schäden anhand der EAD für insgesamt 270 Regionen Europas mithilfe eines hydrologischen Modells geschätzt. Zusätzlich werden Verluste durch vorübergehende Produktionsstopps infolge verlorener Kapazitäten in den drei ökonomischen Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe geschätzt, bevor indirekte Effekte mithilfe des MRIA Modells (
Multiregional Impact Assessment, Koks und Thissen
2016) ermittelt werden. Hierbei ergeben sich die indirekten Schäden durch die Veränderung der interregionalen Güterströme. Im Ergebnis zeigt sich, dass die indirekten Schäden einen bedeutenden Teil der gesamten Schäden ausmachen können und im Mittel schon im Basisszenario bei etwa 20 % der EAD liegen. Dabei steigen die indirekten Schäden mit einem stärkeren Temperaturanstieg an, und zwar auch relativ zu den direkten Schäden. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass indirekte Effekte in Zukunft immer weniger durch Umleitung der Lieferketten abgeschwächt werden können, wenn die direkten Schäden ansteigen. Dies ist ferner ein Hinweis darauf, dass die Beachtung der indirekten Effekte künftig nicht nur analytisch, sondern auch in der Praxis von größerer Bedeutung sein wird. Die genauen quantitativen Ergebnisse für Deutschland lassen sich der Veröffentlichung allerdings nicht entnehmen.
Zu den wenigen referierten Veröffentlichungen mit Fokus auf Deutschland zählen Hattermann et al. (
2014), (
2016). Dort werden die klimawandelgetriebenen Schäden durch Flusshochwasser für die Szenarien RCP4.5 und RCP8.5 betrachtet. Während in Hattermann et al. (
2014) nur zwei Klimamodelle unterlegt werden (REMO, CCLM), erfolgt in Hattermann et al. (
2016) zwecks Robustheitsanalyse eine Erweiterung um weitere Modelle (ENSEMBLES, CORDEX). Geschätzt werden die Schäden mit dem Modell SWIM (
Soil and Water Integrated Model) unter aktuellen Bedingungen, d. h., es kommen keine sozioökonomischen Szenarien zum Einsatz und es wird auch keine Anpassung unterstellt. Die mittleren Schätzungen liegen in Hattermann et al. (
2014) bei 468 Mio. EUR pro Jahr (Referenzperiode 1961–2000), 781 Mio. EUR (2011–2040), 908 Mio. EUR (2041–2070) und 942 Mio. EUR (2071–2100). Mithin verdoppelt langfristig alleinig der Klimawandel die zu erwartenden Schäden. Die weiteren Szenarien in Hattermann et al. (
2016) liefern mit zunehmenden Zeithorizont sogar noch deutlich höhere Schätzungen mit Werten von bis zu 1,38 Mrd. EUR (2071–2100, ENSEMBLES) und 2,07 Mrd. EUR (2071–2100, CORDEX).
Bubeck et al. (
2020) wählen eine andere Perspektive, indem sie Klimawirkungen für Deutschland in ausgewählten Bereichen untersuchen. So werden beispielsweise einerseits Schäden durch Starkregen an Wohngebäuden sowie andererseits durch Sturmfluten an Wohngebäuden, der Schieneninfrastruktur und in Industrie und Gewerbe betrachtet. Damit liegt der Fokus vor allem auf der Ermittlung von direkten Schadenspotenzialen, unter Berücksichtigung des Klimawandels und/oder sozioökonomischer Entwicklungen. Fallstudienartig werden dabei für Starkregenereignisse aktuelle Schadenspotenziale an Wohngebäuden von 13 Mrd. EUR für das Bundesland Nordrhein-Westfalen errechnet, indem auf gängigem Wege Gefahrenkarten mit Landnutzungsinformationen kombiniert werden. Infolge verstärkter Bodennutzung durch sozioökonomischen Wandel würde das Schadenspotenzial ferner um 6 % bis 2030 zunehmen. Anzumerken ist allerdings, dass sich diese Angabe auf das gesamte Bundesland bezieht und Starkregen meist nur als lokales oder regionales Ereignis auftritt. Die Schätzungen der Schadenspotenziale durch Sturmfluten unterliegen laut Bubeck et al. (
2020) noch größeren Unsicherheiten. Insgesamt leistet diese Studie einen nützlichen Beitrag, indem sie Schadenspotenziale ebenso aufzeigt wie den Nutzen von Anpassungsmaßnahmen, der mittels
Input-output-Analysen errechnet wird. Methodisch verzichtet sie allerdings auf die komplexen Modellierungsansätze der zuvor beschriebenen Untersuchungen, sodass weniger die quantitativen als vielmehr die qualitativen Aussagen praktischen Wert haben.
Es lässt sich festhalten, dass es für den Bereich des Küsten- und Hochwasserschutzes eine Vielzahl an Forschungsprojekten gibt, aus denen ein großer Fundus an begutachteter, aber auch grauer Literatur hervorgegangen ist und weiter hervorgeht. Es liegen Analysen auf allen Skalen vor. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Schadensschätzung als auch der Bewertung von Anpassungs- und Schutzmaßnahmen. Die zweckmäßige Analyseebene hängt dabei von der Fragestellung ab. So gehen makroskalige Untersuchungen zwar auf Kosten der Detailgenauigkeit, jedoch sind sie eher in der Lage, gesamtwirtschaftliche Effekte und Feedbackmechanismen über Marktprozesse abzubilden. Unzureichend berücksichtigt scheinen in den meisten Studien bisher noch Schäden zu sein, die durch indirekte Effekte hervorgerufen werden, sowie immaterielle Schäden. Indirekte Schäden sind im Status quo zwar im Prinzip modellierbar, hängen in Zukunft aber von sozioökonomischen Veränderungen ab. Die Messung immaterieller Schäden unterliegt methodischen Herausforderungen und erfordert in der Bewertung zahlreiche normative Annahmen. Darüber hinaus legen viele der Studien einen Fokus auf technische Anpassungsmaßnahmen und die damit verbundenen Kosten. So werden beispielsweise Alternativen wie Umsiedlung und Evakuierung anstelle von verstärktem Küstenschutz noch selten berücksichtigt und die sogenannten naturbasierten Lösungen finden erst allmählich Eingang in die Betrachtungen.
24.4.2 Gesundheitskosten und Hitzewellen
Der Klimawandel kann eine Reihe von teilweise komplexen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben (Kap.
14). Grundsätzlich ist die Bedeutung von (zunehmenden) Wetterextremen dabei seit längerem bekannt (Mücke und Straff
2019). Aus ökonomischer Perspektive sind dabei zwei Aspekte relevant, und zwar die Kosten infolge vermehrter Sterblichkeit oder Erkrankungen sowie mögliche Konsequenzen für die Arbeitsproduktivität und damit auf die wirtschaftliche Leistung.
Ein besonderes Augenmerk richten verschiedene Studien auf Hitzewellen. Eine weiter zunehmende Zahl an Studien untersucht deren Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität. Experimente und Laboruntersuchungen zeigen, dass ab einer Temperatur von 25 °C die Arbeitsproduktivität mit jedem Grad Temperaturanstieg in etwa um 2 % sinkt (Dell et al.
2014). Graff Zivin und Neidell (
2014) finden für die USA, dass sehr heiße Tage insbesondere die Arbeitsproduktivität in der Land- und Fortwirtschaft, im Bau- und Erdbausektor und in der Energieversorgung beeinträchtigen. Für andere Industriezweige bestätigt sich dieser Einfluss nicht. Es zeigt sich vielmehr, dass Anpassungsmaßnahmen wie verbesserte Klimatisierung die Auswirkungen des Klimawandels für Arbeiten in geschlossenen Räumen begrenzen können. Im Gegensatz zu dieser Studie untersuchen Cachon et al. (
2012) ausschließlich den Automobilsektor (wieder in den USA) und zeigen, dass es auch in diesem Sektor mit zahlreichen Arbeiten in klimatisierten Hallen zu Einbußen bei der Arbeitsproduktivität kommt: In Wochen mit extrem heißen Tagen (>32 °C) sinkt die Arbeitsproduktivität um etwa 8 %. Inwieweit dieser Effekt durch unzureichende Klimaanlagen, hitzebedingte Effekte außerhalb der Produktionshallen (z. B. verzögerte Anlieferung von Vorprodukten) oder geringere Anwesenheit von Arbeitern erklärt wird, ist unklar. Jones und Olken (
2010) betrachten Exportdaten und zeigen, dass in armen Ländern (die überwiegend bereits eher hohe Durchschnittstemperaturen aufweisen) ein Anstieg der Temperatur um 1 °C im Durchschnitt mit einem Rückgang der Exporte um 2,4 % verbunden ist. Dieser Effekt tritt vor allem bei Agrargütern und Rohstoffen sowie für Produkte aus dem verarbeitenden Gewerbe auf.
Die Ergebnisse zur Arbeitsproduktivität, wie sie sich in der Literatur darstellen, lassen sich grundsätzlich auf Deutschland übertragen. Zusammenfassend ergibt sich eine umgekehrte U-Form für den Zusammenhang zwischen Temperatur und Produktivität bzw. Wachstum (beispielsweise Nordhaus
2006; Heal und Park
2013; Burke et al.
2015) und damit auch eine „optimale Temperatur“ für Produktivität und Wachstum. Dahinter steht die Beobachtung, dass die Produktivität zunächst mit steigender Temperatur zunimmt, nach dem Erreichen der optimalen Temperatur aber wieder sinkt. Da die langfristige mittlere Temperatur in Deutschland allerdings noch unter dieser optimalen Temperatur liegt, legen diese Studien den Schluss nahe, dass sich im Zuge des Klimawandels die Arbeitsproduktivität in Deutschland erhöht.
Potenzielle Produktivitätseinbußen an sehr heißen Tagen im Sommer würden durch Produktivitätszuwächse im restlichen Jahr überkompensiert. Ob steigende Temperaturen in Deutschland zu einer höheren physischen Arbeitsproduktivität und zu einer Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität führen, hängt auch davon ab, inwieweit Waren- und damit Vorleistungsströme durch den weltweiten Klimawandel beeinflusst werden. Insgesamt bleibt es fraglich, inwieweit solche globalen empirischen Schätzungen zur Prognose geeignet sind.
Knittel et al. (
2020) machen deutlich, dass die hitzebedingten Veränderungen der Arbeitsproduktivität in Deutschland eher über internationale Handelsverflechtungen wirken dürften und damit über die Konsequenzen in anderen Ländern, als dass sie in Deutschland selbst ihren Ursprung haben werden. Veränderungen der Arbeitsproduktivität sind demnach vor allem in Südostasien, China, Indien, Afrika und den ölexportierenden Ländern zu erwarten. Dies trägt maßgeblich zu, wenn auch geringen, Wohlfahrtsverlusten und BIP-Einbußen in Deutschland bei (genauer s. Abschn.
24.3).
Hübler et al. (
2008) bestimmen die volkswirtschaftlichen Kosten von zunehmendem Hitzestress, aber auch den gegenläufigen Effekt reduzierter Kältebelastung, anhand der Daten aus dem Hitzejahr 2003. Auf Basis des Emissionsszenarios A1B wurden mittels des regionalen Klimamodells REMO Temperaturverläufe für den Zeitraum von 2071 bis 2100 errechnet. Daraus wurde die Veränderung des Ausmaßes hitzebedingter Gesundheitsfolgen abgeleitet, also wie sich Hitze auf die Sterblichkeit, hitzebedingte Krankheiten und die Leistungsfähigkeit auswirkt. Da die zukünftige weltwirtschaftliche Entwicklung in den letzten Dekaden dieses Jahrhunderts, die Verfügbarkeit von Ressourcen und die Entwicklung des technischen Fortschritts nahezu unbekannt sind, bewerten Hübler et al. (
2008) die Gesundheitskosten so, als ob der Klimawandel heute auftreten würde. Sie bestimmen also die Kosten relativ zum heutigen Bruttoinlandsprodukt und zum Stand der wirtschaftlichen Entwicklung. Da die Arbeit die Auswirkungen von Hitzeereignissen anhand der Daten der Hitzewelle 2003 untersucht, wird unterschätzt, wie stark sich Individuen und Gesellschaft an die größere Gefahr von Hitzewellen nach dem Ereignis im Jahr 2003 angepasst haben. Als Messgröße für die Gesundheitskosten wird die Veränderung hitzebedingter Krankenhauskosten herangezogen, da es über die Kosten ambulanter Behandlungen keine Informationen gab. Daraus resultieren schließlich zusätzliche Krankenhauskosten von 430 bis 500 Mio. EUR pro Jahr für den Prognosezeitraum von 2071 bis 2100.
Karlsson und Ziebarth (
2018) nutzen für die Schätzung der Kosten eines zusätzlichen heißen Tages in Deutschland Informationen zu den durchschnittlichen täglichen Kosten eines Krankenhausaufenthaltes (von 500 EUR für das Jahr 2012), zur durchschnittlichen täglichen Bruttoentlohnung (von 150 EUR im Jahr 2012) und den Wert eines QALYs
(quality-adjustedl life years) mit 100.000 EUR. Dieser Ansatz basiert auf ihrer empirischen Erkenntnis, dass Hitzeereignisse zu mehr Krankenhauseinweisungen und Verstorbenen führen. Die Bandbreite ihrer Ergebnisse liegt zwischen 6 und 43 Mio. EUR und hängt davon ab, ob einzig die Hitze als Auslöser für gesundheitliche Beeinträchtigungen unterstellt wird (oberer Wert des Intervalls) oder ob für weitere Gründe kontrolliert wird, wie beispielsweise Vorerkrankungen oder Begleiterscheinungen von Hitze wie Luftverschmutzungen oder erhöhte Ozonwerte (unterer Wert des Intervalls). Betrachtet man allerdings die Größenordnung selbst des höchsten ermittelten Ergebnisses, so ist dieses – in Relation zu Größen wie dem deutschen Bruttoinlandsprodukt oder Schäden durch andere klimainduzierte Ereignisse – gering.