Einleitung
Der Ansatz herausforderungsorientierter regionaler Innovationssysteme (CORIS)
Konventioneller RIS-Ansatz | Herausforderungsorientierter RIS-Ansatz (CORIS) | |
---|---|---|
Innovationsverständnis | Innovation im regionalen Unternehmenssektor: technologische und organisatorische Innovation | Innovation im regionalen Unternehmenssektor und in anderen Domänen (öffentlicher Sektor, Zivilgesellschaft, regionale und städtische Communities: technologische, nutzerbezogene, soziale, institutionelle Innovationen) |
Zweck von Innovation | Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft | Territoriale Nachhaltigkeits-Herausforderungen und Probleme der Region |
Auswirkungen von Innovation | Fokus auf positive Auswirkungen | Fokus auf mehrdimensionale (positive und negative) Auswirkungen von Innovation |
Akteure, Netzwerke, Institutionen | Unternehmen, Universitäten, Staat, Intermediäre vernetzt in stabilen (regionalen und außerregionalen) Netzwerken und eingebettet in statische multiskalare institutionelle Strukturen | Herkömmliche RIS-Akteure und „neue“ Innovationsakteure (Zivilgesellschaft, Akteure des öffentlichen Sektors, Nutzer usw.) wirken zusammen in/beeinflusst von sich dynamisch entwickelnden Netzwerken und institutionellen Konfigurationen auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen |
Angebots- und Nachfrageseite | Angebotsseite (Generierung von Innovation in der Region) | Angebots- und Nachfrage‑/Anwendungsseite (Erprobung/Diffusion/Skalierung von Innovation in der Region) |
Implikationen für die Praxis | Identifikation und Erschließung von Innovationspotenzialen basierend auf existierenden wirtschaftlichen und technologischen Stärken; Fokus auf RIS-Entwicklung; Vernetzung „klassischer“ Innovationsakteure | Identifikation von Herausforderungen und zur Lösung geeigneter Ressourcen; Fokus auf RIS-Rekonfiguration für territoriale Herausforderungen und Lösungen; Koordination verschiedener (alter und neuer) Innovationsakteure |
CORIS als Orientierungsrahmen: Implikationen für die Praxis
-
Identifikation von Herausforderungen und Ressourcen: Konventionelle Ansätze wie Clusterpolitik oder intelligente Spezialisierung sind bemüht, ausgehend von historisch gewachsenen wirtschaftlichen und technologischen Stärken neue Innovationsfelder und Diversifikationspotenziale für die (meist inkrementelle) Weiterentwicklung regionalwirtschaftlicher Strukturen zu identifizieren und zu fördern. Der CORIS-Ansatz hingegen hat territoriale Nachhaltigkeitsherausforderungen als Ausgangspunkt. Der regionalen Innovations- und Wirtschaftspolitik kommt die wichtige Aufgabe zu, diese gemeinsam mit anderen Stakeholdern zu identifizieren, Problemursachen abzustecken und eine Auswahl der wichtigsten regionalen Bedürfnisse bzw. Probleme vorzunehmen. Existierende wirtschaftliche und technologische Stärken und andere, in der Region vorhandene Ressourcen können für deren Lösung bedeutsam sein. Um innovationsbasierte territoriale Transformation zu forcieren, wird es aber häufig darauf ankommen, nicht nur bestehende Ressourcen zu nutzen, sondern auch auszuloten, wie die Ressourcenbasis der Region (bestehend aus natürlichen Ressourcen, infrastrukturellen und materiellen Vermögenswerten, Technologien, Kompetenzen, Qualifikationen, Institutionen) modifiziert werden muss.
-
Entwicklung, Anwendung und Diffusion von Innovation: Dieser Kernprozess umfasst die Entwicklung, das Testen und die Anwendung von innovativen Lösungen für die identifizierten Herausforderungen. Aber auch deren Skalierung in der Region und Diffusion in andere Regionen, die vor ähnlichen Problemen stehen, werden diesem Kernprozess zugeordnet. Dabei sind „Lösungen“ breit zu verstehen und umfassen sowohl technologische als auch soziale oder institutionelle Innovationen bzw. deren Kombination, da Systemtransformationen häufig ein Zusammenspiel unterschiedlicher Innovationstypen erfordern.
-
Loslösung und Exnovation: Der CORIS-Ansatz plädiert aber nicht nur für die Suche nach und Unterstützung von gesellschaftlich wünschenswerten Innovationen. Auch der Ausstieg aus nichtnachhaltigen Industriezweigen (als Paradebeispiel kann hier die Kohleindustrie dienen), Technologien, Institutionen, Netzwerken und Praktiken, also Exnovation (Heyen et al. 2017), sollte aus der CORIS-Perspektive Gegenstand von gezielten politischen Bemühungen sein. In solchen Prozessen besteht die Gefahr, dass am Status quo verhaftete Akteursgruppen mit etablierten Interessen Transformationsaktivitäten blockieren (Baumgartinger-Seiringer 2022). Damit gewinnen Fragen nach der Steuerung von Exnovation (Heyen et al. 2017) an Bedeutung. Aktuelle Debatten rund um den Umgang mit Verhinderungskoalitionen, Politikansätze zur Destabilisierung nichtnachhaltiger Strukturen (Kivimaa und Kern 2016) und die Kompensation der Verlierer von Transformationen im Kontext der Gestaltung eines gerechten Übergangs („just transition“) (Newell und Mulvaney 2013) sind Zeugnis davon. Der Ausstieg aus emissionsintensiven Branchen, Technologien und Praktiken zugunsten umweltfreundlicher Lösungen und „grüner“ wirtschaftlicher Aktivitäten (Trippl et al. 2020) kann neue Chancen eröffnen. Die Nutzung dieser Transformationspotenziale zu unterstützen, wird zum zentralen Ziel der regionalen Innovations- und Wirtschaftspolitik.
-
Orchestrierung: Die drei oben genannten Kernprozesse benötigen die Koordination verschiedener Akteursgruppen, die häufig unterschiedliche Motivationen, aber auch Fähigkeiten aufweisen, innovationsbasierte territoriale Transformationen mitzugestalten. Gerade die Einbindung neuer Innovationsakteure (z. B. Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen, Nutzer) kann Interessen- und Weltanschauungskonflikte mit sich bringen. Ein offener Diskussionsprozess über Ziele und Wege von Innovationen mag langwieriger und mühsamer als die Entscheidungsfindung in homogenen Zirkeln sein, bietet aber auch die Chance, mögliche negative Folgen von Innovationen (Coad et al. 2021) besser zu antizipieren und gesellschaftliche Konflikte für kreative und konstruktive Prozesse zu nutzen. Die Praxis der regionalen Innovations- und Wirtschaftspolitik kann aufgrund jahrelanger Erfahrungen mit Netzwerkarbeit (z. B. Clusterinitiativen) und partizipativen Politikentwicklungsprozessen (z. B. intelligente Spezialisierung) eine wesentliche Rolle dabei spielen, gemeinsame Visionen zu entwickeln, Akteure zu mobilisieren, Interessenkonflikte zu moderieren und Widerstände abzubauen (Benner 2020; Sotarauta 2018). Orchestrierung bedeutet aber auch, komplexe Politikkoordinationsprozesse zu meistern. Das betrifft sowohl die Abstimmung mit anderen Politikfeldern, also die Zusammenarbeit der regionalen Innovations- und Wirtschaftspolitik mit Ressorts, die etwa für Arbeitsmarktpolitik, Umweltpolitik oder Raumplanung zuständig sind (horizontale Politikkoordination) wie auch die Koordination mit der nationalen und supranationalen Politikebene (vertikale Politikkoordination). Gerade letzteres gestaltet sich in der Praxis häufig als schwierig (wie etwa Erfahrungen mit der Umsetzung von intelligenter Spezialisierung zeigen), gewinnt aber gegenwärtig angesichts des Europäischen Grünen Deals und ambitionierter missionsorientierter Politikprogramme auf supranationaler und nationaler Ebene noch mehr an Bedeutung (Pontikakis et al. 2022).