In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die Gesellschaft stärker in der Wirtschaft berücksichtigt werden kann. Es wird gezeigt, wie durch eine Verschleierung der Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft die Voraussetzungen für eine begrenzte Reflexion in wirtschaftlichen Entscheidungen geschaffen werden und wie die Selbststeuerung durch Fremdbeschreibungen beeinflusst werden kann.
4.3.1 Verschleierung der Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft
Aus systemtheoretischer Sicht erfolgt eine Steuerung durch eine Erhöhung oder Reduktion einer Differenz, daher spielt auch die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft eine entscheidende Rolle für eine andere Operationsweise des Wirtschaftssystems.
Die gesellschaftlichen Funktionssysteme sind durch einen Zufall über die Wahl der Beobachtungsdifferenz entstanden. Was vom System beobachtet wird, ist abhängig von den Strukturen des Systems. Es ist nie möglich, alles zu beobachten, sondern immer nur eine vereinfachte Abbildung beobachtbar (Willke 1987, S. 248 ff.).
Strukturen eines Systems können aufrechterhalten werden, indem etwas nicht bewusst ist oder nicht gesehen wird. Bewusstseinslatenz beschreibt eine Art von Latenz, in der bestimmte Dinge in der Selektion nicht berücksichtigt werden, da sie nicht bekannt sind. Darüber hinaus gibt es strukturfunktionale Latenz. Diese versucht bewusst, Kommunikation zu verhindern, um die eigenen Strukturen zu bewahren. Denn würden die nicht bekannten Informationen kommuniziert werden und ins Bewusstsein rücken, würden die Strukturen zerstört werden (Luhmann 1984, S. 459).
Für eine Veränderung der Beobachtung müssen die Differenzen der Beobachtung anders gesetzt werden. Auch für eine gesellschaftliche Steuerung spielen aus systemtheoretischer Sicht Differenzen eine wesentliche Rolle. Unter Steuerung versteht Luhmann eine „intentionale Kommunikation“ (Luhmann 2000, S. 403).
Da die Steuerung eines gesamten Systems viel zu komplex wäre, bezieht sie sich nur auf eine spezifische Unterscheidung. Ziel ist die Erhöhung oder Reduzierung einer bestimmten Differenz. Beobachtet wird also nur diese Differenz. Das System wird daher nicht in seiner Ganzheit und in seinem Unterschied zur Umwelt betrachtet, sondern die Steuerung wird lediglich auf die beobachtete Differenz reduziert (Luhmann 2000, S. 403). Bei einer Steuerung geht es immer um eine Veränderung einer Differenz, die sich sowohl innerhalb des Systems als auch in der Umwelt befinden kann (Luhmann 1988, S. 328).
Nach Luhmann (1988, S. 343) erfolgt die Steuerung innerhalb des Wirtschaftssystems durch eine Geldmengendifferenzminimierung. Durch den evolutionär gebildeten Geldcode (Luhmann 1988, S. 344 f.) erfolgt die Verarbeitung von Ereignissen in der Gesellschaft durch Zahlungen und Preise (Willke 1996, S. 59). Da der Code nicht verändert werden kann, besteht die einzige Möglichkeit für eine Veränderung der Beobachtung im Wirtschaftssystem in einer Veränderung der Programme (Luhmann 1988, S. 347).
Ein Steuerungseingriff ist im Grunde nur eine Operation unter vielen – egal ob er sich auf das System oder die Umwelt bezieht. Bei parallel stattfindenden Operationen ist immer mit Nebeneffekten zu rechnen, so kann selbst die Beobachtung der Steuerung unerwartete Effekte bewirken. Auch die Politik kann nicht steuern, da die Systeme nach ihrer eigenen Logik arbeiten und jeweils ganz andere Unterscheidungen verwenden. Politik ist daher nur einer von vielen Differenzminimierungsversuchen, die es vielfach gibt. Systemtheoretisch ist eine Steuerung eher als Selbststeuerung zu verstehen (Luhmann 1988, S. 331 ff.).
Das Wirtschaftssystem kann nicht durch direkte Eingriffe der Politik gesteuert werden, denn dadurch werden rentable Investitionen unrentabel gemacht. Durch Steuern werden beispielsweise Zahlungen geleistet, ohne dass die eigene Zahlungsfähigkeit dadurch wiederhergestellt werden kann. Durch die Politik können die Preise kaum so verändert werden, dass sie die Externalitäten genau miteinbeziehen. Wenn aber nicht alle Aspekte in den Kosten berücksichtigt werden, führt das zu einer unvollständigen Perspektive des Wirtschaftssystems, sodass die zu lösenden Probleme durch die Wirtschaft nicht adäquat gelöst werden, was sich wiederum auf andere Systeme überträgt (Luhmann 1986, S. 109 ff.). Nach der Theorie der Autopoiesis kann das Wirtschaftssystem nur sich selbst steuern, da Politik andere Systeme nicht steuern kann (Luhmann 1988, S. 325).
Systeme haben ihren primären Fokus auf der Selbsterhaltung, sie können die Umwelt daher eigentlich nicht berücksichtigen. Für sie macht es keinen Sinn, zukünftige Auswirkungen zu berücksichtigen, wenn dies dazu führt, dass sie diese Zukunft gar nicht erreichen können (Luhmann 1986, S. 38). Nach Willke (1995, S. 231 ff.) kann das Steuerungsproblem mit zusätzlichem Wissen durch eine höhere Reflexion gelöst werden. Willke (1997, S. 69 ff.) geht davon aus, dass Funktionssysteme ihre Autopoiesis an einer externen Referenz orientieren können. Zwar nimmt er nicht an, dass eine direkte externe Steuerung möglich ist, aber die gesellschaftlichen Funktionssysteme können eine gesamtgesellschaftliche Rationalität in ihrer eigenen Systemlogik wahrnehmen. Damit sie dazu in der Lage sind, benötigt es externe Supervision, wodurch die Möglichkeiten der Operationen des Systems gemeinsam beschränkt werden.
Eine Berücksichtigung der gesellschaftlichen und ökologischen Umwelt in der Wirtschaft ist also nur möglich, wenn klar ist, welche externen Erwartungen es gibt, welche Möglichkeiten der anderen Systeme durch die Operationen des Systems beschränkt werden und mit welchen Einschränkungen im Möglichkeitsraum des Systems die Entwicklungsmöglichkeiten der anderen Systeme wiederhergestellt werden können.
Demnach bleibt das System auf Supervisoren, insbesondere die Politik, angewiesen, die die gesellschaftliche Gesamtrationalität für das System übersetzt, das in eine stärkere Abstimmung mit der Umwelt gehen sollte. Durch die Übertragung von neuem Sinn werden für das System neue Win-Win-Lösungen sichtbar, die mit der Autopoiesis des Systems und des beteiligten Systems kompatibel sind (Willke 1997, S. 304).
Wiesenthal kritisiert diese Perspektive, da darin das politische System plötzlich in der Lage ist, eine Gesamtrationalität einzunehmen, die hinter der Systemrationalität steht. Damit würden die Systeme die Fortsetzung ihrer eigenen Autopoiesis hintenanstellen, um eine gegenseitige Abstimmung zu ermöglichen, was eigentlich nicht mehr mit der Logik der Systemtheorie kompatibel wäre (Wiesenthal 2006, S. 73).
Dabei vernachlässigt Wiesenthal jedoch eine wesentliche Möglichkeit, die einen solchen Zusammenhang wieder mit der Systemtheorie kompatibel macht: nämlich die Berücksichtigung einer gesamtgesellschaftlichen Rationalität, die die Möglichkeiten der Selbsterhaltung des Systems zwar kurzfristig eingeschränkt, die aber aus einer langfristigen Perspektive dem System die Möglichkeit bietet, zum Erhalt der eigenen Grundlagen beizutragen, wodurch die Voraussetzungen geschaffen werden, die Autopoiesis des Systems langfristig fortzusetzen.
Dies ist allerdings nur möglich, wenn durch die gesamtgesellschaftliche Perspektive nicht die eigene Autopoiesis kurzfristig gefährdet wird. Eine Einschränkung der Möglichkeiten sollte aber nicht mit der Selbstgefährdung des Systems gleichgestellt werden. Im Gegenteil, es kann durch eine Einschränkung der Möglichkeiten auch neuer Sinn erzeugt werden, der die Selbsterhaltung sogar erleichtert.
Anhand der Reflexion im System wird deutlich, dass die Systeme Leistungen für andere Systeme zur Verfügung stellen und selbst auf die Leistung von anderen Systemen angewiesen sind. Dadurch wird die Berücksichtigung anderer Themen in der Entscheidungslogik wahrscheinlicher, denn Systeme integrieren in ihre Selbstbeschreibungen Erwartungen an andere Systeme. Damit wird eine gegenseitige Rücksichtnahme ermöglicht. Durch die stärkere gegenseitige Berücksichtigung werden jedoch auch gegensätzliche Erwartungen wahrscheinlicher, die zu Konflikten führen können und eine gegenseitige Annäherung notwendig machen. Diese Diskrepanzen führen jedoch erst dazu, dass die Beobachtungsperspektive verändert wird und Operationen sich verändern. Für eine Veränderung der Operationen ist eine Differenz zwischen Systemrationalität und gesamtgesellschaftlicher Rationalität notwendig (Japp 1996, S. 209 f.).
Die gesellschaftlichen Funktionssysteme sind aufgrund der Ausdifferenzierung auf die Funktionsweise der anderen Systeme angewiesen. Eine Beachtung der Entwicklungsmöglichkeiten anderer Systeme ist durch Selbstbegrenzung möglich. Sie können deren Erwartungen jedoch nur berücksichtigen, wenn sie ihre Selbsterhaltung dadurch nicht gefährden – oder umgekehrt formuliert: Sie sind in der Lage, ihre Erwartungen zu berücksichtigen, wenn sie auch zu deren Selbsterhaltung beiträgt.
Im Wirtschaftssystem kann die Berücksichtigung der Gesellschaft nur auf der Ebene der Programme, die über den Code bestimmen, erfolgen, da sie veränderbar sind. Die Steuerung der systeminternen Operationen erfolgt daher durch die Programmierung des Systems. Im Wirtschaftssystem erfolgt die Programmierung von Zahlungen über Preise. Durch quantitative Vergleiche von Preisen wird es möglich, zu entscheiden, ob eine Zahlung richtig oder falsch ist. Die Veränderung des Programmes, also eine Programmierung der Programmierung, erfolgt durch den Markt, da er über den Preis bestimmt. Die Umwelt wird im Wirtschaftssystem also nur in den Preisen berücksichtigt, wenn die externen Kosten internalisiert werden. Da das Wirtschaftssystem nur in einer sehr beschränkten Bandbreite eine Sensibilität oder einem beschränkten Resonanzbereich gegenüber Umweltereignisse aufweist, kann es auch nur begrenzt auf die gesellschaftliche Selbstgefährdung reagieren. Zwar ist das Wirtschaftssystem theoretisch in der Lage, alles aus der Gesellschaft zu berücksichtigen, allerdings nur das, was wirtschaftlich ist. Es muss daher immer die Frage sein, mit welchen Preisen kann die Zahlungsfähigkeit erhalten werden. Denn nur so erzeugt das Rauschen der Umwelt Resonanz im Wirtschaftssystem und sorgt für die Aufrechterhaltung der Autopoiesis (Luhmann 1986, S. 90 ff.).
Für eine andere Beobachtung der Wirtschaft müssen also die Preise so verändert werden, dass darin die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen auf die Umwelt enthalten sind.
Stehr (2007) beschreibt unter Moralisierung der Märkte, dass durch veränderte gesellschaftliche Erwartungen immer mehr nichtwirtschaftliche Kriterien im Markt berücksichtigt werden, da sich sowohl das Konsumverhalten als auch die Produktionsverfahren geändert haben.
Für das Wirtschaftssystem ist es daher vorteilhaft, wenn die eigenen Operationen und die damit verbundene Systemrationalität mit der gesamtgesellschaftlichen Rationalität in Einklang gebracht werden. Dies gelingt, wenn die Systeme ihre eigene Rationalität in Bezug auf den Umweltkontext reflektieren. Das Wirtschaftssystem steuert sich selbst durch einen Reentry der Gesellschaft in das Wirtschaftssystem. Die Erwartungsstrukturen werden nicht mehr nur im Hinblick auf die systeminterne Umwelt, also die Märkte, sondern auch mit Bezug auf die systemexterne Umwelt stabilisiert. Dies bedeutet eine fundamentale Veränderung in der Selbstbeschreibung des Marktes, da das Wirtschaftssystem nun in der Lage, ist die eigenen Auswirkungen auf die Umwelt in der eigenen Sprache zu berücksichtigen, das heißt, dass die bisher unberücksichtigten externen Kosten nun internalisiert werden können. Zwar stimmt es weiterhin, dass das Wirtschaftssystem nichts anderes als wirtschaftliche Kriterien mit dem Systemcode verarbeiten kann, denn die Selbstbeschreibung der Wirtschaft läuft nur über Preise. Allerdings können die Auswirkungen auf die Umwelt, die durch Wissenschaft, Politik und soziale Bewegungen ermittelt werden, in die Preise aufgenommen werden. Allerdings können in den Preisen aufgrund der Komplexität der Umwelt nicht alle ökologischen und sozialen Auswirkungen berücksichtigt werden. Ob Organisationen tatsächlich die gesellschaftliche und ökologische Umwelt in den Operationen berücksichtigen, muss mit Blick auf die Organisationen und nicht auf die Funktionssysteme analysiert werden (Melde 2012, S. 165 ff.).
Die Gesellschaft kann also nur im Wirtschaftssystem verarbeitet werden, wenn sie wirtschaftlich relevant geworden ist. Sie kann also auch nur so weit berücksichtigt werden, als sie mit wirtschaftlichen bzw. finanziellen Zielen kompatibel ist. Da die Gesellschaft sich immer von der Wirtschaft unterscheiden wird, da sie ansonsten mit ihr identisch wäre, stellt diese Annahme ein Paradox dar. Dass alle gesellschaftlichen Ziele mit wirtschaftlichen Zielen kompatibel sind, ist eine Illusion. Diese Paradoxie lässt sich invisibilisieren, indem die gesellschaftlichen Ziele betrachtet werden, die mit dem Wirtschaftssystem kompatibel und verarbeitbar sind. Durch diese Begrenzung der Reflexion kann die Gesellschaft trotz ihrer höheren Komplexität in das Wirtschaftssystem eingeschlossen werden.
Die Kritik am Wirtschaftswachstum, an dessen negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen die Differenzen zwischen Wirtschaft und gesellschaftlicher und ökologischer Umwelt ersichtlich wurden, konnte durch das Narrativ eines grünen Wachstums verdrängt und invisibilisiert werden.
Das Kernargument bestand darin, dass ein Rückgang des Wachstums auch zu einem Rückgang des Wohlstands führt. Demgegenüber könne eine Internalisierung der ökologischen Externalitäten sowohl zu Wachstum als auch zu einer Verbesserung der Umweltqualität führen (Schmelzer 2016, S. 298). Mit grünem Wachstum wird bis heute bei der OECD geworben (OECD 2015). Mit der Illusion eines grünen oder inklusiven Wachstums wird es möglich, die Komplexität der Gesellschaft zu reduzieren und in der Wirtschaft zu berücksichtigen. Denn der Möglichkeitsraum der wirtschaftlichen Entwicklung wird eingeschränkt, indem nur die gesellschaftlichen Aspekte berücksichtigt werden müssen, die wirtschaftlich relevant sind, wodurch die Gesellschaft in die Wirtschaft wieder eingeschlossen werden kann. Dies führt dazu, dass die pathologische Selbstreferenz aufgelöst wird, da sie sich stärker gegenüber der Umwelt öffnet. Zudem ist eine Anschlussfähigkeit an die Kommunikation im Wirtschaftssystem über Zahlungen gewährleistet, sodass die Autopoiesis fortgesetzt werden kann. Gleichzeitig schützt die Begrenzung auf Wirtschaftliches vor einer Überlastung der gesellschaftlichen Komplexität. Der Möglichkeitsraum der Entwicklung der Wirtschaft wird so eingeschränkt, dass in der aktuellen Entwicklung ein Potenzial für weitere Entwicklung entsteht, da alle Möglichkeiten ausgeschlossen werden, die zu einer Gefährdung der Umwelt führen. Diese aktuellen Einschränkungen der Möglichkeiten öffnen den Möglichkeitsraum für zukünftige Entwicklungen und für die Fortsetzung der Autopoiesis. Die Potenzialität nimmt zu und neuer Sinn entsteht.
Organisationen können die Berücksichtigung der Gesellschaft im Wirtschaftssystem ermöglichen, da die Programme der Wirtschaft durch Organisationen verändert werden können. Aufgrund der Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft kann eine stärkere Berücksichtigung der Wirtschaft nur erfolgen, wenn bei Entscheidungen die Reflexion auf wirtschaftliche Gesellschaftsthemen begrenzt wird. Für eine Änderung der Beobachtungsdifferenz im Wirtschaftssystem sind Organisationen von grundlegender Bedeutung, da sie die Programme verändern können, auf deren Ebene die Gesellschaft berücksichtigt werden kann. Organisationen sind in der Lage, durch ihre Entscheidungen eine Differenz zu verändern und Paradoxien zu verschleiern.
In Organisationen erfolgt die Steuerung durch das Management, dessen Aufgabe es ist, Unterschiede zu identifizieren, die entweder vergrößert oder verkleinert werden sollen.
Eine gebräuchliche Unterscheidung besteht in der Soll-Ist-Abweichung. Diese führt zu beobachteten Differenzen, die erhöht oder reduziert werden sollen. Gewinn und Rendite bilden Beobachtungsdifferenzen, die zwar nicht von der Organisation selbst entworfen wurden, aber an denen sich die Organisation durch die Definition von Zielen selbst messen kann. Mit der Wahl der Beobachtungsdifferenz erfolgt eine doppelte Selektion, denn die gewählte Differenz prägt das aktuelle Bild und beeinflusst den potenziellen Zustand der Organisation. Die Aufgabe des Managements besteht darin, die Differenz zwischen Organisation und Umwelt in die Organisation einzuführen und verarbeitbar zu machen. Es muss sich daher darüber klar werden, welche Differenz es setzen möchte. Das Management kann eine Referenz zur Organisation, Wirtschaft, Gesellschaft oder zum Individuum herstellen. In einem Strategieprozess erfolgt eine Festlegung, die korrigierbar ist. Dabei entstehen Spannungen aus der Differenz zwischen einem aktuellen und einem zukünftigen Zustand des Systems, die zu Entscheidungen anregen. Das Management muss die Differenzen zwischen Aktualität und Potenzialität so für die Organisation wählen und die Organisation entsprechend ausstatten, dass sie die Ziele erreicht (Baecker 2003, S. 234 ff.).
Organisationen richten ihre Zielsetzung und Beobachtungsdifferenz auf die Funktion eines bestimmten gesellschaftlichen Funktionssystems aus. Allerdings müssen alle Organisationen ihre Mitglieder bezahlen und eine Refinanzierung sicherstellen, wodurch alle Organisationen vom Wirtschaftssystem abhängig sind und dieses System eine besondere Rolle spielt (Luhmann 2000, S. 405).
Da sich jedoch nicht alle über den Markt refinanzieren können, kommt auch der Politik durch die Unterstützung mit staatlichen Zahlungsmitteln eine gewisse Bedeutung zu (Luhmann 2000, S. 468). Zwar befinden sich Systeme in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, da alle Funktionssysteme mit allen anderen Funktionssystemen gekoppelt sind, aber Organisationen können die Gesellschaft nur berücksichtigen, wenn dies ihre Zahlungsfähigkeit nicht gefährdet.
Durch eine Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen wird es möglich, dass bei Entscheidungen in der Finanzwirtschaft die Gesellschaft berücksichtigt wird. Für die Auflösung der Paradoxie durch die Einführung der ökologischen und gesellschaftlichen Umwelt in die Wirtschaft, also durch ein Reentry der Differenz zwischen Wirtschaft und Umwelt in das System, ist es notwendig, dass die Wirtschaft sich nicht selbst gefährdet, sondern ihre Selbsterhaltung im Blick behält. Es reicht also nicht aus, wenn sich wirtschaftliche Organisationen durch eine Beobachtung zweiter Ordnung selbst beobachten, sondern sie benötigen eine Beobachtung dritter Ordnung, die die Rückwirkungen auf das System der Auswirkungen des Systems auf die Umwelt betrachtet. Es gibt daher eine Reihe von finanzwissenschaftlichen Untersuchungen, welche wirtschaftlichen Folgen die Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Themen hat.
Im Finanzsystem wurden die wirtschaftlichen Rückwirkungen der eigenen Entscheidungen besonders bei großen institutionellen Investoren anhand des Prinzips „Universal Ownership“ (Monks und Minow 1995, S. 143) ersichtlich. Nach diesem Prinzip richten sich große Investoren mit einem breiten Portfolio nicht an Eigeninteressen, sondern an der Allgemeinheit aus.
Denn durch die breite Diversifikation führt eine Externalisierung einer Anlage zu einem Nachteil bei einer anderen Anlage. Investoren sollten daher die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft berücksichtigen, um einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen (Hawley und Williams 1997, 2000; Hawley und Wicks 2002; Hawley und Williams 2007).
Durch ihre Größe sind sie strukturell dazu veranlagt, sich dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zu verschreiben und den Markt, ergänzend zu gesetzlichen Anforderungen, in diese Richtung zu bewegen. Allerdings ist es in der Praxis schwer, die finanziellen Konsequenzen aller Auswirkungen abzuschätzen, weshalb die universelle Investorentheorie zwar als erstrebenswerte oder normative Theorie gesehen werden kann, aber keinen aktuellen Zustand abbildet (Richardson und Peihani 2015, S. 406 ff.).
Mit dem Versuch, gesellschaftliche Auswirkungen zu messen, wurde es möglich, auch die finanzielle Relevanz der gesellschaftlichen und ökologischen Umwelt nicht nur theoretisch herzuleiten, sondern auch empirisch zu untersuchen. Margolis und Walsh (2003, S. 268) beschrieben die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance als ein 30-jähriges Bestreben, eine empirische Beziehung zwischen dem gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen und seinem finanziellen Erfolg herzustellen. Bereits in den Anfängen zur Auswertung von Metastudien zum Zusammenhang von Corporate Social Performance und Corporate Financial Performance entstand eine Diskussion über die Methodik und die Interpretation der Ergebnisse (Griffin und Mahon 1997; Roman et al. 1999; Mahon und Griffin 1999; Margolis und Walsh 2003). In den jüngeren Metastudien wird meist das Fazit gezogen, dass in Summe ein eher signifikant neutraler bis leicht positiver Zusammenhang zwischen der Nachhaltigkeitsleistung und dem wirtschaftlichen Erfolg besteht (Friede et al. 2015; Busch und Friede 2018; Atz et al. 2021).
Es gibt jedoch auch sehr grundsätzliche Kritik gegenüber einer statistischen Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung der Gesellschaft. Ein klassisches Problem bei Metaanalysen besteht in Publikationsverzerrungen, da nicht alle Studien, sondern nur Studien mit erwünschten Ergebnissen publiziert werden (Rosenthal 1979). Diese Art der Verzerrung soll auch bei den Ergebnissen der Metastudien über den Zusammenhang zwischen der Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance vorliegen (Orlitzky 2011; Rost und Ehrmann 2017). Neuere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass keine Publikationsverzerrungen vorliegen (Busch und Friede 2018). Es muss jedoch betont werden, dass bei dieser Analyse der Verzerrung nur die Untereffekte der Metaanalysen zugrunde gelegt wurden, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einer Untersuchung der den Metastudien zugrunde liegenden Primärstudien Publikationsverzerrungen festzustellen sind. Auf eine Verzerrung deuten zumindest die unterschiedlichen Korrelationen in den Gruppen der Fachzeitschriften hin. Es kann also nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse zu dem Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeitsleistung und finanzieller Leistung aufgrund von Publikationsverzerrungen durch erwünschte Effekte beeinflusst werden. Ein weiterer Diskussionspunkt bei den Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Nachhaltigkeitsleistung und der finanziellen Leistung besteht in der Frage zur Richtung der Kausalität (Salzmann et al. 2005, S. 30). Einerseits gibt es die Überlegung, dass ein Management mit einer guten Nachhaltigkeitsleistung zu einem finanziellen Erfolg führt (Waddock und Graves 1997). Andererseits gib es auch die These, dass erst finanzieller Erfolg notwendig ist, um in Nachhaltigkeit zu investieren, weshalb eine gute Nachhaltigkeitsleistung erst aus dem finanziellen Erfolg resultiert (McGuire et al. 1988). Da beide Thesen empirisch belegt werden können, gibt es auch die Annahme eines positiven Kreislaufs, in dem sich die Nachhaltigkeitsleistung und der finanzielle Erfolg gegenseitig bedingen, was auch die Metametastudie von Busch und Friede (2018, S. 602) als besonders wahrscheinlich erachtet. Die Nachhaltigkeitsleistung und die finanzielle Leistung befinden sich in einer selbstverstärkenden Steigerungsspirale. In diesem Steigerungsprozess spielt die Wissenschaft keine unwesentliche Rolle, denn durch Performation kann es sein, dass Theorien nicht nur die Realität beschreiben, sondern auch gestalten. Dies kann so weit gehen, dass sie zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Marti und Gond (2018) beschreiben am Beispiel der Diskussion um die positive Korrelation von Corporate Social Performance und Corporate Financial Performance, wie es zu einer solchen Selbsterfüllung kommen kann. Die Darstellung eines positiven Zusammenhangs zwischen der Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance kann die Investoren zum Experimentieren verleiten, die tatsächlich in manchen Fällen positive Erfahrungen sammeln. Dadurch kann eine positive Rückkopplungsschleife entstehen, die zu einem Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft anregt und durch die die wissenschaftlichen Annahmen zur gesellschaftlichen Realität werden.
Obwohl am Ende nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden kann, dass es generell wirtschaftlich vorteilhaft ist, die Gesellschaft zu berücksichtigen, oder dass die Kritik gegenüber den Metastudien gerechtfertigt ist, hilft die Scheinsicherheit eines positiven Zusammenhangs, dass die Gesellschaft in finanzwirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigt wird. Durch die wissenschaftliche Bestätigung, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft wirtschaftlich ist, werden Praktiker davon überzeugt, sich stärker mit gesellschaftlichen Aspekten auseinanderzusetzen, sodass die Gesellschaft tatsächlich stärker in der Wirtschaft berücksichtigt wird. Umfragen zeigen, dass Manager und Investoren zunehmend eine höhere Relevanz von Nachhaltigkeit für den Shareholder-Value sehen (McKinsey 2020) und Portfoliomanager und Finanzanalysten zunehmend Nachhaltigkeit in ihren Investmententscheidungen und -analysen berücksichtigen (van Duuren et al. 2016; CFA Institute 2017; Umweltbundesamt (UBA) 2017; EY 2020). Die qualitativen Angaben werden unterstützt durch den Anteil an nachhaltigen Investments am gesamten verwalteten Vermögen (siehe Abschnitt
5.5.1). Mit dem Fokus auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftskriterien wird es also möglich, die Gesellschaft in die bestehenden Entscheidungserwartungen zu integrieren und damit einen Anschluss an existierende Strukturen zu finden, wodurch Resonanz im Finanzsystem entsteht.
Durch die Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen wird es möglich, dass die Gesellschaft bei Entscheidungen in der Realwirtschaft berücksichtigt wird.
Die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Erfolg ist sehr komplex und von der Kontingenz der Situation, den Unternehmen und den standortbezogenen Faktoren abhängig, die nur schwer analytisch gemessen werden können. Die Herausforderung von quantitativen Studien bei der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Corporate Social Performance und der Corporate Financial Performance besteht in Hinblick auf die Identifikation der Bedeutung und der Rolle des Business Case für Nachhaltigkeit innerhalb eines Unternehmens, da beispielsweise der ökonomische Wert von Nachhaltigkeitsstrategien weit schwieriger zu erfassen ist und immaterielle Vermögenswerte (wie beispielsweise Markenwert oder Mitarbeiterloyalität) schwer zu quantifizieren sind (Salzmann et al. 2005, S. 30 ff.).
Die Untersuchungen geben daher wenig Erkenntnis über die wirtschaftliche Relevanz von Gesellschaftsthemen auf organisationaler Ebene und dazu, wie ein Business Case in Unternehmen entwickelt und verwendet werden kann. Allerdings gibt es Theorien, die sich auf organisatorischer Ebene näher damit befasst haben, wie in wirtschaftlichen Entscheidungen stärker gesellschaftliche Themen berücksichtigt werden können. Das Stakeholder-Management, der Business Case for CSR, Shared Value und der Business Case for Sustainability sind Ansätze, die sich aus einer strategischen Perspektive mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Gesellschaft auseinandergesetzt haben.
Den Anstoß für eine wirtschaftliche Betrachtung von gesellschaftlichen Themen in strategischen Entscheidungen von Unternehmen hat das Stakeholder-Management gegeben. Im Stakeholder-Management wird die Berücksichtigung der Gesellschaft in Form von Stakeholderinteressen als Voraussetzung eines wirtschaftlichen Erfolges gesehen, da die Rückwirkungen der Auswirkungen der Unternehmen auf deren Umwelt wesentliche Rückwirkung auf die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen erzeugen (Freeman 2004, S. 231).
Aus systemtheoretischer Sicht wird damit deutlich gemacht, dass Unternehmen für eine höhere gesellschaftliche Reflexion auf ein Netzwerk an Akteuren angewiesen sind. Vergleichbar mit der Generalisierung durch Nachhaltigkeit, die Entscheidungssicherheit durch eine Einheit erzeugt, wird aber gleichzeitig betont, dass Unternehmen und Stakeholder eine gemeinsame normative Basis benötigen, um eine stabile Beziehung aufzubauen (Freeman 2004, S. 234 f.).
Mit der Frage, ob Shareholder die gleichen Interessen wie Stakeholder haben können (Williamson 1985; Freeman und Evan 1990; Goodpaster 1991; Boatright 1994; Marens und Wicks 1999; Goodpaster und Holloran 1994) arbeitet die Stakeholder-Managementtheorie selbst mit der Paradoxie der Gesellschaft im Wirtschaftssystem. Im Gegensatz zu den Theorien zur CSR, die die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft hervorhebt, invisibilisiert die Stakeholder-Managementtheorie die Differenz zwischen Unternehmen und Gesellschaft (Freeman und Moutchnik 2013, S. 5 ff.), indem das Stakeholder-Management als Teil der Unternehmensstrategie betrachtet wird (Freeman 2004, S. 231). Die gesellschaftliche Reflexion wird begrenzt, indem Vorschläge unterbreitet werden, mit welchen Akteuren aus einem Netzwerk das Unternehmen kommunizieren soll (Phillips und Reichart 2000; Mitchell et al. 1997; Agle et al. 1999). Mit einem holistischen Ansatz von Harrison und St. John (1994) erzeugt die Stakeholdertheorie eine kommunikative Anschlussfähigkeit gegenüber bestehenden Managementtheorien, wodurch die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft erleichtert wird.
Die Bedeutung der Wirtschaftlichkeit wurde im Forschungsfeld zu CSR unter dem Begriff „Business Case for CSR“ diskutiert. Während in der Stakeholdertheorie besonders Akteure in den Fokus gestellt wurden, liegt der Fokus beim Business Case for CSR eher auf den Themen, die für einen wirtschaftlichen Erfolg berücksichtigt werden sollten. Da nach dem Business Case for CSR gesellschaftliche Themen eher berücksichtigt werden, wenn sie wirtschaftlich sind (Schreck 2015, S. 74 f.), wurden direkte und indirekte Strategien ausgearbeitet, die zeigen, wie CSR eine positive Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit haben kann (Carroll und Shabana 2010, S. 101 f.). Aufgrund der unternehmensspezifischen Kontingenz sollten jedoch unbedingt die individuellen Rahmenbedingungen der Unternehmen berücksichtigt werden (Schreck 2015, S. 76 f.).
Auch im Konzept des Shared Values wird aufgezeigt, wie durch die Berücksichtigung der Gesellschaft Innovationen und Wettbewerbsvorteile für Unternehmen entstehen können (Porter und Kramer 2006, S. 78).
Nach dem Shared-Value-Ansatz entsteht ein höherer Mehrwert, wenn Unternehmen gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen. Unternehmen sollten auf den Erhalt ihrer Umwelt achten, da sie auf deren Funktion angewiesen sind (Kramer und Porter 2011, S. 6). Durch den Fokus auf Themen, die sowohl einen wirtschaftlichen als auch einen gesellschaftlichen Mehrwert bewirken, entsteht ein selbstverstärkender Prozess (Kramer und Porter 2011, S. 6 ff.).
Aus systemtheoretischer Sicht führen die daraus resultierenden positiven externen Effekte dazu, dass die Entwicklungsmöglichkeiten in der Umwelt der Wirtschaft verbessert und mit dieser gesunden Umwelt auch neue Entwicklungsmöglichkeiten der Wirtschaft geschaffen werden. Die Scheinsicherheit der Wirtschaftlichkeit der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen führt dann tatsächlich zu einer verbesserten Wirtschaftlichkeit.
Im Unterschied zum Business Case for CSR liegt der Fokus beim Shared Value auf der Messbarkeit, weshalb nur Themen betrachtet werden, die mit dem Kerngeschäft vereinbar sind. Während CSR eher kritisch gegenüber dem Kapitalismus steht, vertraut der Shared-Value-Ansatz eher den Möglichkeiten des Kapitalismus, um das Wirtschaftssystem zu erhalten (Liel und Luetge 2015, S. 186).
Auch beim Konzept des Business Case for Sustainability geht es darum, dass mit dem Geschäftsmodell von Unternehmen eine gesellschaftliche Herausforderung gelöst werden soll. Die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung sollen wirtschaftlich erreicht werden (Schaltegger und Lüdeke-Freund 2012, S. 2 ff.).
Er berücksichtigt die Kontingenz der Unternehmen (Salzmann et al. 2005, S. 27; Schaltegger und Hasenmüller 2005, S. 2) und zeigt mit Unternehmensstrategien, die sowohl einen direkten als auch einen indirekten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit haben, unter welchen Bedingungen die Berücksichtigung der Gesellschaft wirtschaftlich ist (Schaltegger und Lüdeke-Freund 2012, S. 6 f.). Nachhaltige Unternehmer können durch ihre Innovationen zu einer positiven Entwicklungsdynamik einer nachhaltigen Gesellschaft beitragen (Schaltegger 2015, S. 207).
Beim Business Case for Sustainability entsteht durch eine doppelte Selektion der Gesellschaft Scheinsicherheit. Durch Nachhaltigkeit wird die Komplexität der Gesellschaft reduziert, indem nur bestimmte Themen, die für die Selbsterhaltung der Gesellschaft kritisch sind, ausgewählt werden. Im zweiten Schritt werden dann aus diesem Möglichkeitsraum der Unternehmen die Themen ausgewählt, die sich wirtschaftlich umsetzen lassen. Damit wird also einerseits die Komplexität so reduziert, dass die Gesellschaft trotz ihrer Komplexität in der Wirtschaft berücksichtigt werden kann, und durch den Fokus auf die wirtschaftlichen Themen wird Anschlussfähigkeit an die wirtschaftliche Kommunikation erzeugt. Durch die Integration von Nachhaltigkeitsthemen in die Unternehmensstrategie werden die Erwartungsstrukturen in den Unternehmen verändert, sodass auch in den operativen Entscheidungen gesellschaftliche Themen Berücksichtigung finden.
Die Invisibilisierung der Paradoxie der Gesellschaft in der Wirtschaft macht die Beobachtung der Gesellschaft in der Wirtschaft möglich. Ohne die Paradoxie könnte die Gesellschaft nicht in der Wirtschaft berücksichtigt werden. Die Überzeugung, dass Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Erwartungen mit wirtschaftlichem Erfolg kompatibel sind, führt dazu, dass sich Unternehmen um mehr Nachhaltigkeit bemühen. Allerdings wird dabei unterstellt, dass alle gesellschaftlichen Erwartungen mit finanziellen Kriterien kompatibel sind, wodurch auftretende Zielkonflikte ignoriert werden.
Die Frage, wie gesellschaftliche Erwartungen in Einklang mit der Gewinnorientierung der Unternehmen gebracht werden können und somit sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Ziele erreicht werden können, haben Lin-Hi und Suchanek (2011) anhand des Spannungsfeldes von Moral und Gewinn untersucht, das in den folgenden Absätzen nachgezeichnet wird.
Lin-Hi und Suchanek (2011, S. 66) untersuchen aus einem systemtheoretischen Verständnis, wie Moral und Gewinn und somit gesellschaftliche und wirtschaftliche Ziele vereint werden können. Demnach steht Moral für die Codierung „Gut und Böse“ und Gewinn für die Codierung „Zahlung und Nichtzahlung“. Durch die ausdifferenzierten Systeme entsteht eine Integrationsherausforderung in Form der Frage, wie die Systeme in einen kontrollierten Zusammenhang gebracht werden können.
Nach Lin-Hi und Suchanek (2011, S. 78) existieren Konflikte von Gewinn und Moral auf unterschiedlichen Ebenen, die mit unterschiedlichen Strategien gelöst werden können.
Auf der „Spielzugebene“ (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 76) können gesellschaftliche Ziele aus Wettbewerbsgründen in Konflikt mit einer kurzfristigen Gewinnerzielung stehen. In einer zeitraumbezogenen Perspektive können Anreize so gestaltet werden, dass bei einer Betrachtung von Gewinnen zu einem späteren Zeitpunkt auch die moralischen Auswirkungen berücksichtigt werden. Die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung kann in dem Fall als Investition in die Zukunft betrachtet werden. So kann auch der Verzicht auf einen kurzfristigen Gewinn mit dem wettbewerbsorientierten Anreizsystem kompatibel sein, da zukünftige Erträge den Verzicht überkompensieren. Die Voraussetzung für solch eine Selbstbeschränkung besteht in dem Vertrauen, dass die zukünftigen Gewinne auch tatsächlich realisiert werden können. Wenn Unternehmen überlegen, ob sie eine Kooperation mit einer anderen Organisation eingehen sollen, können sie sich an der Reputation und Integrität der Organisation orientieren, da sie ein Gedächtnis der Organisation bilden. Als Sicherheit dienen Vermögenswerte, die als Pfad für eine Kooperation betrachtet werden können. Sie reduzieren Komplexität, da das Verhalten besser abschätzbar wird. Damit eine Vorleistung erbracht wird, ist am Ende jedoch immer Vertrauen notwendig, das durch ein hohes Sozialkapital gestärkt werden kann (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 78).
Wie bereits im Abschnitt
2.2.4 dargestellt, sind auch aus systemtheoretischer Sicht für diesen Fall Netzwerke notwendig, die mit dem Vertrauen arbeitet, durch das Einbringen einer Vorleistung eine Gegenleistung zu erhalten.
Bei einem Konflikt zwischen Gewinn und Moral verzichten Unternehmen immer dann auf kurzfristige Gewinne, wenn dieser Verzicht zu einem späteren Zeitpunkt einen höheren Gewinn in Aussicht stellt. Gesellschaftliche Verantwortung wird durch eine Selbstbeschränkung hinsichtlich kurzfristiger Gewinne bei einer gleichzeitigen Investition in Integrität, Image und Reputation, die die Voraussetzung für zukünftige Gewinne bilden, ermöglicht. Kurzfristige Gewinne stehen deshalb prinzipiell mit einem langfristigen Erfolg in Konflikt. Die Verantwortung des Unternehmens besteht also besonders darin, einen Verzicht auf kurzfristige Gewinne institutionell zu verankern (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 79).
Wenn eine zeitraumbezogene Perspektive nicht mehr ausreicht, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Zielkonflikte aufzulösen, werden auf der „Spielregelebene“ (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 80) neue ordnungspolitische Strategien benötigt. Wenn der Wettbewerb nicht ausreichend reguliert wird, kann es sein, dass kurzfristige Gewinne für Unternehmen einen höheren Anreiz bieten als die Selbstbeschränkung für einen langfristigen Unternehmenserfolg, da die langfristigen Vorteile die kurzfristigen Kosten oder die verpassten Gewinnchancen nicht kompensieren können. Auch wenn es mit bestehenden Anreizstrukturen kompatibel ist, kann es sein, dass das Erzielen der kurzfristigen Gewinne gesellschaftlich kritisiert wird. Es ist möglich, dass ein Unternehmen eine Selbstbeschränkung erwägt, diese aber nur sinnvoll erscheint, wenn sich auch andere Unternehmen beschränken, um selber keine Nachteile zu erfahren. Dieses Gefangenendilemma wird auch als Tragik der Allmende (Hardin 1968; Ostrom 1990) diskutiert. Die Vorteile der Beschränkung entstehen erst in einer Kooperation und der Sicherheit, dass alle anderen Akteure sich ebenso beschränken. Dies kann jedoch nur durch Institutionen, z. B. durch Global Governance, sichergestellt werden, die die Voraussetzungen schaffen, dass die Anreize so gestaltet werden, dass Gewinn und Moral integriert werden können. Durch die Globalisierung und den damit einhergehenden Machtverlust der Nationalstaaten steigt die Steuerungsdeutung der Unternehmen, eigene Defizite der Anreizstrukturen innerhalb des Wettbewerbs zu beseitigen. Allerdings verhindern fehlende Sanktionsmechanismen und ein zu geringes Vertrauen oftmals, einen gemeinsamen Vertrag einzugehen, um eine Selbstbeschränkung verbindlich zu machen. Oftmals ist die Unsicherheit zu groß, ob durch die Einschränkung tatsächlich ein größerer Nutzen in der Zukunft im Vergleich zu den Aufwänden der Beschränkung oder entgangenen Chancen des Verzichts entsteht (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 80 ff.).
Wie bereits im Abschnitt
4.2.1 dargestellt, dient besonders die Generalisierung durch Nachhaltigkeit als Referenz für eine Vereinbarung von Beschränkungen. Denn mit der Referenz auf Nachhaltigkeit versucht ein System die Möglichkeiten der Entwicklung von anderen Systemen nicht zu beeinträchtigen, um langfristig die Umwelt und somit auch sich selbst erhalten zu können. Je mehr Unternehmen sich zu Nachhaltigkeit bekennen und ihren Möglichkeitsraum bei ihren Entscheidungen aufgrund der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit einschränken, entsteht zunehmend Sicherheit, dass Unternehmen durch eine Selbstbeschränkung keinen Nachteil erfahren.
Darüber hinaus wird jedoch auch kritisiert, dass Unternehmen per se nachteilig für die Gesellschaft sind. Diese Vorstellungen und normativen Erwartungen beziehen sich auf das „Spielverständnis“ (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 76). Auf dieser Ebene bestehen semantische Konflikte, bei denen die Unternehmen nicht akzeptiert und grundsätzlich als schädlich für die Gesellschaft gesehen werden. Durch Vorbehalte gegenüber ökonomischen Zusammenhängen können normative Forderungen entstehen, die nicht im Sinne der Gesellschaft sind. So kann es auch im gesellschaftlichen Interesse liegen, durch Wettbewerb effizientere Leistungen und Innovationen hervorzubringen, mit denen im ersten Schritt auch Arbeitsplatzverluste verbunden sind. Diese semantischen Konflikte entstehen durch normative Einstellungen von Akteuren, die die praktischen Entscheidungsprozesse der Wirtschaft nicht ausreichend berücksichtigen. Da es kaum möglich ist, diesen normativen Vorstellungen entgegenzuwirken, besteht die einzige Möglichkeit für Unternehmen, mit solchen normativen Vorstellungen umzugehen, darin, ihre begrenzten Verantwortungsmöglichkeiten aufzuzeigen und zu demonstrieren, dass sie auf der Spielzugebene alles tun, was in ihrer Macht liegt, um Gewinn und Moral zu vereinen (Lin-Hi und Suchanek 2011, S. 83 ff.).
Auf allen drei Ebenen bleibt die Voraussetzung, dass gesellschaftliche Ziele mit der Logik des Wirtschaftssystems kompatibel sein müssen. Die unterschiedlichen Ebenen, in denen Zielkonflikte entstehen, unterscheiden sich jedoch in der Unsicherheit, mit der dieser Zusammenhang besteht. Auf der Spielzugebene kann durch einen Wechsel der Beobachtungsperspektive unter Berücksichtigung der Unsicherheit der Zukunft eine gleichzeitige Erreichung der Ziele hergestellt werden. Auf der Spielregelebene steigt die Unsicherheit, da die Vereinbarkeit nicht nur von den eigenen Entscheidungen, sondern auch von anderen Organisationen abhängt. Beim Spielverständnis scheint die Unsicherheit so groß zu sein, dass eine Vereinigung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielen unwahrscheinlich bleibt. In allen Fällen besteht jedoch die Notwendigkeit, dass für eine Berücksichtigung der Gesellschaft eine Kompatibilität von Wirtschaft und Gesellschaft erzeugt und die Unsicherheit so weit reduziert wird, dass eine Vereinigung von beiden möglich erscheint. Auf der Spielzugebene wird das durch eine scheinbar vorhersehbare Zukunft erzeugt, die die Sicherheit für heutige Investitionen bietet. Auf der Spielregelebene wird die Sicherheit generiert, dass andere Organisationen die Gesellschaft auch berücksichtigen und sich beschränken. Eine absolute Unvereinbarkeit, wie auf der Ebene des Spielverständnisses, lässt sich nicht auflösen, ohne das System selbst zu hinterfragen. Innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems lässt sich daher nur auf die Sicherheiten des Spiels und der Spielzugebene verweisen. Es müssen also in dem Fall die Unsicherheiten verschleiert werden. Mit dem Verweis auf die Scheinsicherheit, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft wirtschaftlich sinnvoll ist, ist es möglich, die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu invisibilisieren. Durch die Auflösung der Paradoxie der Gesellschaft in der Wirtschaft wird es möglich, dass die Gesellschaft in der Wirtschaft berücksichtigt wird.
Aus systemtheoretischer Sicht kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft per se wirtschaftlich ist. Denn auch an der Diskussion um Moral und Gewinn wird deutlich, dass es viele gesellschaftliche Themen gibt, die nicht mit der Wirtschaftlichkeit von Unternehmen kompatibel sind. Dies trifft auch auf die Berücksichtigung der zeitlichen Perspektive zu, bei der davon ausgegangen wird, dass Unternehmen heute auch unwirtschaftliche Gesellschaftsthemen beachten sollten, die in einer langfristigen Perspektive wirtschaftlich vorteilhaft werden können. Durch die Ungewissheit der Zukunft ist dies ein hohes Risiko für die Unternehmen. Die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen die Gesellschaft berücksichtigen, besteht darin, dass sie ihre eigene Selbsterhaltung nicht gefährden. Unternehmen schränken ihre Gewinnmaximierung nur ein, wenn sie sich sicher sein können, dass sie in Zukunft daraus einen Vorteil ziehen. Durch die Generalisierung von Nachhaltigkeit werden Hinweise gegeben, wo es sich lohnt, Einschränkungen vorzunehmen. Dies setzt jedoch voraus, dass Wettbewerber sich im gleichen Maße einschränken, damit das Unternehmen keine Nachteile erfährt. Daher müssen die Anreizsysteme des Wettbewerbs entsprechend geändert werden. Wenn also die Berücksichtigung der Gesellschaft nicht oder noch nicht wirtschaftlich ist, bleibt nichts anderes übrig, als die Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen.
Da im Wirtschaftssystem nur Wirtschaftliches verarbeitet werden kann, muss für einen Reentry der Gesellschaft in die Wirtschaft die Differenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft invisibilisiert werden. Indem der Fokus auf wirtschaftliche Gesellschaftsthemen gelegt wird, kann die Gesellschaft in finanz- und realwirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigt werden.
4.3.2 Selbststeuerung durch Selbst- und Fremdbeschreibungen
Da das Wirtschaftssystem nicht durch eine direkte Steuerung verändert werden kann, ist eine stärkere begrenzte Reflexion der Gesellschaft in der Wirtschaft nur durch Selbststeuerung möglich. Da die Selbststeuerung auf einer Selbstbeschreibung basiert (siehe Abschnitt
2.2.4), kann jedoch durch die Veränderung einer Fremdbeschreibung Einfluss auf die Selbstbeschreibung und damit auf die Selbststeuerung genommen werden.
Die Beobachtung von Organisationen steht, wie jede Beobachtung von autopoietischen Systemen, vor der Herausforderung, dass diese zu komplex sind, um sie vollständig von außen erfassen zu können. Auch bei einer Reflexion der eignen Operationen bleibt das System für sich selbst unerreichbar, wodurch eine gewisse Intransparenz immer vorhanden ist und sich nie vollständig vermeiden lässt (Luhmann 2000, S. 424).
Für Baecker (2003, S. 331) besteht die Selbstorganisation eines Systems in einer Ausdifferenzierung eines Selbst innerhalb des Systems, das sich vom eigentlichen System unterscheidet. Durch dieses System im System wird das System für die Umwelt erfassbar.
In der Selbstbeschreibung erzeugt das System selbst eine Innendarstellung und eine Außendarstellung. Im Gegensatz dazu, gibt es Fremdbeschreibungen, die von außen angefertigt werden. Organisationen dient die Selbstbeschreibung zur Schaffung einer Identität. Dabei müssen Organisationen gleichzeitig Einzigartigkeit und Anpassungsfähigkeit demonstrieren (Luhmann 2000, S. 417 ff.).
Die Identität einer Organisation ist jedoch nur durch eine Selbstbeobachtung in Verbindung mit einer Fremdbeobachtung möglich. Selbstreferenzielle Systeme können nur mit der Irritation aus der Umwelt existieren, weshalb Organisationen auf Fremdbeschreibungen angewiesen sind (Baecker 2003, S. 328 f.).
Da eine Selbststeuerung sowohl auf eine Selbstbeschreibung als auch auf eine Fremdbeschreibung angewiesen ist, wird im folgenden Abschnitt zur Beschreibung einer stärkeren begrenzten Reflexion in der Wirtschaft auf beide Perspektiven eingegangen und dargestellt, wie eine Verschiebung der Selbstbeschreibung und der Fremdbeschreibung – von der Referenz auf die interne Umwelt der Wirtschaft auf die externe Umwelt der Wirtschaft – stattfindet.
In Organisationen erfolgt die Selbstbeschreibung durch Texte (Luhmann 2000, S. 417) und eine Auswahl an aussagekräftigen Indikatoren, die die Geschichte der Organisation erzählt (Luhmann 2000, S. 423).
Voraussetzung für die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft ist eine Beschreibung der Gesellschaft. Diese Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft kann durch Indikatoren erleichtert werden. Eine Scheinsicherheit des gesellschaftlichen Abbildes in der Gesellschaft entsteht, wenn durch wenige Indikatoren viele Rückschlüsse möglich werden (Luhmann 1984, S. 387).
In Form von Indikatoren und anderen Formen, die keine Zahlungen darstellen, aber Hinweise auf Zahlungen geben können, wird eine Selbstbeschreibung im Wirtschaftssystem möglich (Luhmann 1988, S. 128). In wirtschaftlichen Organisationen erfolgt die Selbstbeschreibung üblicherweise durch die doppelte Buchhaltung über Geschäftsberichte, die eine lange Evolution durchlebte. Die erste schriftliche Dokumentation von wirtschaftlichen Operationen wurde bereits 3500 Jahre vor Christus auf Tontafeln vorgenommen (Carmona und Ezzamel 2007, S. 183 ff.). Die doppelte Buchführung wurde im 15. Jahrhundert erstmals von Luca Pacioli (1494) in Venedig niedergeschrieben und konnte sich durch den Buchdruck ausbreiten (Sangster et al. 2008, S. 115). Durch den Computer konnte ab den 1950er Jahren die Leistungsfähigkeit der Buchhaltung deutlich gesteigert werden (Sandner und Spengler 2011, S. 7 ff.). Mit dieser Selbstbeschreibung entstand ein Gedächtnis der Organisationen, mit dem sehr komplexe Operationen möglich wurden (Luhmann 1988, S. 19). Der Fokus auf rein wirtschaftliche Indikatoren in der doppelten Buchführung ermöglichte eine rein wirtschaftliche Rationalität (Luhmann 2000, S. 406) und trug damit maßgeblich zur Komplexitätssteigerung des Wirtschaftssystems bei (Luhmann 2000, S. 442). Mit der Komplexität konnte auch die Geschwindigkeit der Verarbeitung gesteigert werden, wodurch wirtschaftliche Operationen beschleunigt werden konnten (Luhmann 1988, S. 21). Die doppelte Buchhaltung erzeugt eine gesellschaftliche Legitimität für die wirtschaftlichen Operationen, da sie aufzeigt, dass das Aufwand-Nutzenverhältnis gerechtfertigt ist (Carruthers und Espeland 1991, S. 55). Durch Rechnungslegungsstandards wie die International Financial Reporting Standards vom International Accounting Standards Board (IASB) (2018) oder die Deutschen Rechnungslegungs Standards (DRS) vom Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (2018) konnte die Legitimität weiter gesteigert und Akzeptanz erzeugt werden, dass aus der Auswahl von möglichen Beobachtungsdifferenzen der Selbstbeschreibung die richtige Differenz gesetzt wurde und die Vernachlässigung aller nicht berücksichtigten Themen berechtigt ist.
Neben den positiven Effekten, die durch die Komplexitätsreduktion der doppelten Buchhaltung entstehen, trägt die doppelte Buchhaltung mit der Setzung der Beobachtungsdifferenz aber auch zur Selbstgefährdung des Wirtschaftssystems bei, wodurch die gesellschaftliche Legitimität verloren geht.
Da bei der Selbstbeschreibung durch die doppelte Buchhaltung viele Themen vernachlässigt werden und die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen in der Kosten-/Nutzenabwägung keinen Eingang finden, sind alternative Selbstbeschreibungen für eine höhere gesellschaftliche Reflexion notwendig. Bei einem Gedächtnis wie der doppelten Buchhaltung entsteht das Bild der Gegenwart aus einer Differenz zwischen Vergangenheit und Zukunft – und die Selbstbeschreibung durch einen Reentry der Differenz zwischen System und Umwelt (Luhmann 2000, S. 442 ff.).
Für ein anderes Gedächtnis müssen daher die Differenzen zwischen Vergangenheit und Zukunft sowie zwischen System und Umwelt verändert werden.
In Organisationen besteht neben der Selbstbeschreibung oft eine Vielzahl an anderen Differenzen, die die Organisation hyperkomplex machen. Luhmann geht davon aus, dass Organisationen weiterhin mit einem rationalen Modell operieren, das allerdings allmählich von einer neuen Selbstbeschreibung verdrängt wird. Somit existieren in der Organisation zwei Selbstbeschreibungen gleichzeitig, die unterschiedlich Sinn erzeugen, ohne die bereits existierende Selbstbeschreibung zu ersetzen (Luhmann 2000, S. 441 f.).
Eine Alternative sieht Luhmann daher in einer Ergänzung der klassischen Buchhaltung um weitere Kennziffern (Luhmann 2000, S. 328). Wie von Luhmann vermutet, hat sich in der Zwischenzeit in der Unternehmenspraxis aus dem hyperkomplexen Raum der unterschiedlichen Differenzen eine zweite Differenz gegen eine Vielzahl anderer möglicher Differenzen durchgesetzt. Neben der klassischen Selbstbeschreibung durch die doppelte Buchhaltung hat sich als alternative Selbstbeschreibung mit einer langfristigen Orientierung und der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen die Nachhaltigkeitsberichterstattung herauskristallisiert.
Für ein besseres Verständnis dieser Selbstbeschreibung wird die Entstehungsgeschichte ansatzweise nachgezeichnet.
Während in den 1970er Jahren vor allem untersucht wurde, wie die Finanzberichterstattung um soziale Themen erweitert werden konnte, traten ab den 1980er Jahren besonders Umweltthemen ins Zentrum der Beobachtung. Mit der Entstehung der Nachhaltigkeitsberichterstattung in den 1990er Jahren wurden die Bilanzierungsansätze der Finanzbuchhaltung auf ökologische Themen übertragen (Mathews 1997, S. 484 ff.).
Gray et al. (1993) unterscheiden drei Arten der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die von der doppelten Buchhaltung geprägt sind: Nachhaltigkeitskosten, Inventarisierung des Naturkapitals und Input-Output Analysen.
Mit der Triple Bottom Line (TBL) beschrieb Elkington (1998) erstmals, dass die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen einer Organisation in einer Nachhaltigkeitsberichterstattung zusammen dargestellt werden sollten. Die Idee der integrierten Betrachtungsweise von sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten geht auf den Brundtland-Bericht (United Nations 1987) der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen zurück (Lamberton 2005, S. 13).
Ähnlich den Finanzberichterstattungsstandards entstanden auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung Berichtsstandards wie beispielsweise die Global Reporting Initiative (GRI) (2018) oder der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK). Sie ermöglichen eine Generalisierung von gesellschaftlichen Themen, da sie eine Auswahl an gesellschaftlichen Themen vorgeben, die in der Selbstbeschreibung enthalten sein sollten. Dadurch wird die Komplexität der Gesellschaft reduziert, die Auswahl aller anderen wirtschaftsexternen Umweltthemen legitimiert und eine Begründung für die Vernachlässigung aller nicht berücksichtigten Themen gefunden. Auch bei den Berichterstattungsstandards – beispielsweise den Standards des Sustainability Accounting Standards Board (SASB) und des International Integrated Reporting Council (IIRC) (2018) oder den Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) und den Diskussionen über eine integrierte Berichterstattung (CDP et al. 2020) – entwickelte sich eine Tendenz zur Fokussierung auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen. Durch diese Begrenzung der gesellschaftlichen Reflexion wurde die Paradoxie zwischen Wirtschaft und Gesellschaft invisibilisiert, was die Berücksichtigung der Gesellschaft in der Wirtschaft erleichterte.
Zwar helfen die Berichterstattungsstandards mit Vorgaben wie beispielsweise einer Materialitätsanalyse dabei, zu bestimmen, wie gesellschaftliche Themen ausgewählt werden sollen (Taubken und Feld 2018, S. 1 ff.). Allerdings bleibt die Auswahl der gesellschaftlichen Themen eine Entscheidung der Organisation. Denn die Organisation entscheidet selbst darüber, welche Themen für sie wichtig sind und welche Stakeholder einbezogen werden sollen, um zu erfahren, was für andere wichtig ist.
Systemtheoretisch können sich Organisationen zwar der Meinung von außen anpassen, damit sie ihre Identität jedoch nicht verlieren, müssen sie aber eigene Entscheidungen treffen. Da soziale Systeme sich selbst nie vollständig erfassen können, müssen sie Entscheidungen treffen, was für die eigene Beschreibung relevant ist und was von der Beschreibung ausgeschlossen wird. Da immer davon ausgegangen werden muss, dass nicht alles erkannt und berücksichtigt wurde, ist bei einer Selbstbeschreibung immer damit zu rechnen, dass sie nicht mehr aktuell ist. Das bisher Ausgeschlossene könnte möglicherweise schon relevant geworden sein, sodass es eingeschlossen werden müsste, oder das Eingeschlossene könnte irrelevant geworden sein, sodass es ausgeschlossen werden müsste (Luhmann 1988, S. 424 ff.).
Durch eine regelmäßige Aktualisierung der Materialitätsanalyse kann sichergestellt werden, dass bisher Unberücksichtigtes Eingang findet und somit die Scheinsicherheit erzeugt wird, dass die gesamte Gesellschaft beobachtet werden kann.
Ähnlich zur Selbstbeschreibung erfolgt auch bei der Fremdbeschreibung von wirtschaftlichen Organisationen eine Verschiebung von einer wirtschaftlichen Rationalität auf eine gesellschaftliche Perspektive. Mit anderen Fremdbeschreibungen können die Selbstbeschreibung und somit auch die Selbststeuerung der Organisation beeinflusst werden.
Dazu zählen beispielsweise Berater, die mit einer Fremdbeschreibung die Perspektive der Selbstbeschreibung erweitern und so bisher nicht Betrachtetes hervorheben. Indem Berater vermeiden, die Organisation in ihrer vollständigen Komplexität erfassen zu wollen, werden auch direkte Steuerungsversuche vermieden, wodurch die Akzeptanz der Fremdbeobachtung erhöht wird und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Selbstbeobachtung verändert wird (Luhmann 2000, S. 433 ff.).
Weitere Fremdbeschreibungen werden durch Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, Banker und Analysten angefertigt, die einen Einfluss auf die Selbstbeschreibung ausüben (Baecker 2003, S. 335).
Organisationen nutzen Fremdbeschreibungen, um Scheinsicherheiten zu erzeugen, indem sie beispielsweise externe Informationen sammeln, um intern und extern nachweisen zu können, dass die organisationalen Entscheidungen nach einer rationalen Vorgehensweise getroffen werden. Fremdbeschreibungen werden damit als Legitimation von Entscheidungen mit hohen Unsicherheiten verwendet. Die Fremdbeschreibungen können aber auch durch die neuen Informationen zu anderen Erwartungen innerhalb der Organisation führen, wodurch es zu internen Strukturveränderungen kommen kann und die Entscheidungen selbst beeinflusst werden, obwohl sie möglicherweise zuerst nur eine symbolische Funktion haben sollten. Durch die Unsicherheitsabsorption in Organisationen führen nicht alle externen Beschreibungen sofort zu Änderungen. Organisationen erzeugen einen Widerstand, insbesondere gegenüber Umweltereignissen mit hoher Unwahrscheinlichkeit (Japp 1996, S. 176 f.).
Für eine höhere gesellschaftliche Reflexion in der Wirtschaft ist eine Wiedereinführung der Umwelt in das System notwendig. Die Voraussetzung dafür ist Latenz.
Luhmann (1984, S. 458 f.) unterscheidet Latenz in faktische Latenz und strukturfunktionale Latenz. Faktische Latenz besteht dann, wenn bestimmte Informationen in der Kommunikation nicht berücksichtigt werden, da ein Wissen darüber unmöglich ist. Strukturfunktionale Latenz schützt Strukturen, indem bestimmte Informationen bewusst verschleiert werden, was der Stabilisierung von Strukturen dient. Falls diese Informationen und die Latenz aufgedeckt werden, werden die bestehenden Strukturen zerstört. Gleichzeitig entsteht dadurch die Möglichkeit zum Aufbau von neuen Erwartungsstrukturen. Sozialer Wandel resultiert daher insbesondere aus dem Aufbrechen von latenten Strukturen.
So reduzieren beispielsweise Kreditratingagenturen durch ihre Fremdbeschreibungen in Form von Bewertungen die Komplexität über wirtschaftliche Zusammenhänge, was die Entscheidungsfindung erleichtert. In ihrer latenten Funktion sorgen sie aber dafür, dass der Anschein erhalten bleibt, dass sie die Wirtschaft in ihrer Komplexität tatsächlich verstehen. Sie verschleiern, dass die wirtschaftliche Umwelt eigentlich viel zu komplex ist, als dass sie in einer Organisation vollständig abgebildet und damit verstanden werden könnte. Mit dieser Latenz wird die Differenz der wirtschaftlichen Umwelt und der Wirtschaft verschleiert, wodurch die Differenz der Wirtschaft und ihrer wirtschaftlichen Umwelt in der Wirtschaft berücksichtigt werden kann. Dadurch entsteht die Scheinsicherheit, die es ermöglicht, dass wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden können und weitere Komplexität im Wirtschaftssystem aufgebaut wird (Strulik 2008, S. 291 ff.).
Zwar haben auch Kreditratingagenturen damit begonnen, die wirtschaftsexterne Umwelt zu berücksichtigen (UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) 2018b, 2018a), innerhalb des Finanzsystems sind jedoch spezielle Organisationen entstanden, die Fremdbeschreibungen über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen erstellen (United Nations Environment Programme (UNEP) und World Bank Group 2017, S. 35).
Das Umweltbundesamt (UBA) (2017, S. 7) hat ein Modell für die Informationskette von gesellschaftlichen Informationen innerhalb des Finanzsystems entwickelt, das vier Anwender der Selbstbeschreibungen von Unternehmen unterscheidet: Direktnutzer, wozu Nachhaltigkeitsratingagenturen gehören, sammeln Primärdaten von Unternehmen und NGOs. Screener, wie beispielsweise Fondmanager, betrachten Unternehmensinformationen nur sehr grob und gehen in einen direkten Dialog mit den Unternehmen. Rohdatennutzer, wozu auch Fondmanager zählen, verwenden die aufgearbeiteten Primärdaten von Nachhaltigkeitsratingagenturen und ergänzen diese mit NGO-Informationen, um Risiken und Kontroversen zu identifizieren. Dies ist ein standardisierter Prozess in der Finanzanalyse. Ratingnutzer, wie zum Beispiel Pensionskassen, orientieren sich bei der Investitionsentscheidung an den Ergebnissen und Einschätzungen der Nachhaltigkeitsratings und der Auswahl in Nachhaltigkeitsfonds. Da sie sehr selten direkte Unternehmensinformationen verwenden, sind die Informationen der Investitionsentscheidung sehr abstrahiert.
Die Selbstbeschreibung der Unternehmen in Form von Nachhaltigkeitsberichten wird also nur von den Direktnutzern verwendet. Die Finanzmarktakteure stützen sich eher auf die Fremdbeschreibung, die von den Intermediären auf Basis der Nachhaltigkeitsberichte, also der Selbstbeschreibung, erstellt wird. Damit nehmen Nachhaltigkeitsratingagenturen eine zentrale Position in der Informationskette ein und spielen eine wichtige Rolle im Finanzsystem (Umweltbundesamt (UBA) 2017, S. 7).
Entscheidungen in der Finanzwirtschaft orientieren sich zur Berücksichtigung gesellschaftlicher Themen daher besonders an der Fremdbeschreibung von Nachhaltigkeitsratingagenturen.
Auch für die Realwirtschaft sind Nachhaltigkeitsratingagenturen bedeutsam für die Erstellung einer Fremdbeschreibung der gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen. Nach Melde (2012, S. 155) haben sich neben Ratingagenturen auch Beratungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf das Thema „Nachhaltigkeit“ spezialisiert und stellen Unternehmen Fremdbeschreibungen mit einem stärkeren Fokus auf die Gesellschaft zur Verfügung und können darüber Unternehmen beeinflussen.
Da Nachhaltigkeitsratingagenturen nicht nur für Finanzmarktakteure, sondern auch für Unternehmen eine zentrale Rolle in den Fremdbeschreibungen der Unternehmen mit Bezug auf die gesellschaftliche Umwelt spielen, haben sie ein hohes Potenzial, die Selbstbeschreibung der Unternehmen zu verändern und eine Selbststeuerung im Wirtschaftssystem auszulösen. Voraussetzung für eine solche Steuerung ist die Messbarkeit der gesellschaftlichen Themen, die bei Organisationen beobachtet werden. Die Basis dafür war eine einheitliche Definition von Corporate Social Responsibility, die den Möglichkeitsraum der zu betrachtenden Gesellschaftsthemen einschränkte.
Im wissenschaftlichen Diskurs hat es sich etabliert, die Messgröße der Corporate Social Responsibility als „Corporate Social Performance“ zu bezeichnen. Sethi (1975) erwähnte erstmals den Begriff „Corporate Social Performance“ und diskutierte Dimensionen, mit denen Corporate Social Responsibility gemessen werden kann.
In dem Artikel „A three-dimensional conceptual model of corporate performance“ von Carroll (1979) wurde zum ersten Mal aus der Vielzahl an unterschiedlichen Definitionen zu CSR, die Carroll in Coporate Responsibility, Social Issues und Social Responsivness (Carroll 1979, S. 499) eingeteilt hatte, ein einheitliches Modell entwickelt, das die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen zusammenfassend mit den Kategorien „economic, legal, ethical and discretionary“ (Carroll 1979, S. 500) beschrieb und damit messbar machte.
Nach Lee (2008, S. 60) ist das Besondere an diesem Konzept, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen nicht als gegensätzlich und unvereinbar galten, sondern es wurden unternehmerische Ziele in das Konzept integriert und besonders die Beziehung der Organisation zur Umwelt thematisiert.
Es gab diverse Weiterentwicklungen dieses Konzeptes (Miles 1987; Ullmann 1985; Wartick und Cochran 1985; Wood 1991).
Eine besonders erwähnenswerte Abwandlung entwickelten Wartick und Cochran (1985, S. 767), die die wesentlichen Aspekte von CSR nach Carroll (1979) Coporate Responsibility, Social Issues und Social Responsivness durch Principles, Processes und Policies ersetzten, was die praktische Anwendung erleichterte.
Das Modell von CSR wurde von Carroll (1991) selbst nochmals überarbeitet, indem er Discretionary durch Philanthropic ersetzte und darunter auch das Thema Corporate Citizenship einordnete. In einer pyramidalen Darstellung, die sich mittlerweile als Standardmodell für CSR etabliert hat, wurden auch konkrete Vorgaben gemacht, wie ein Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollte: „make profit, obey the law, be ethical, and be a good corporate citizen“ (Carroll 1991, S. 43).
Mit diesen Anpassungen lag nun eine klare Definition der gesellschaftlichen Verantwortung vor, wodurch die Messbarkeit der Corporate Social Performance möglich wurde. Wissenschaftler konnten, wie in Abschnitt
4.3.1 beschrieben, nun empirische Analysen zur Korrelation von Corporate Social Performance und Coporate Finanical Performance durchführen, und Praktiker waren nun in der Lage in der Wirtschaft gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen (Wood and Jones 1995). Voraussetzung für die Messbarkeit der gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen war also eine Einigung oder Generalisierung, welche Themen der komplexen Gesellschaft wie berücksichtigt werden sollten. Die Diskussion, wie die gesellschaftlichen Auswirkungen von Unternehmen am besten gemessen werden können, hat sich in die Form von Nachhaltigkeitsratings weiterentwickelt, für die es auch eine Vielzahl an anderen Bezeichnungen gibt (Avetisyan und Hockerts 2017, S. 318). Während sie früher CSR-Ratingagenturen (Scalet und Kelly 2010) oder soziale Ratingagenturen (Chatterji et al. 2009; Chatterji und Toffel 2010; Arjaliès 2010) genannt wurden, sind sie dann zunehmend auch als ESG-Ratingagenturen bezeichnet worden (SustainAbility 2018), da sie meist aus den Dimensionen „Environment“, „Social“ und „Governance“ aufgebaut sind.
Allerdings gibt es bisher noch keine einheitliche Begrifflichkeit zu Nachhaltigkeitsratings. Neben ESG-Rating, wie MSCI und Sustainalytics ihre Ratingprodukte nennen, gibt es, wie im Fall von VigeoEiris, auch die Bezeichnung als Sustainability Rating (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 31).
Da die Bezeichnung SRI kaum noch verwendet wird, liegt mit der Entwicklung von SRI zu ESG beziehungsweise zu Nachhaltigkeitsratings eine ähnliche Weiterentwicklung vor, wie sie aus unternehmerischer Sicht bei dem Wandel von CSR zu Nachhaltigkeit festzustellen ist (siehe Abschnitt
4.2.3), weshalb in dieser Arbeit auch die Bezeichnung „Nachhaltigkeitsratings“ verwendet wird.
Nachhaltigkeitsratings sind Bewertungen von Unternehmen, Ländern, Finanzprodukten oder -fonds, die auf vergleichende Auswertungen der Ansätze, Berichterstattungen, Strategien oder Performances zu Nachhaltigkeitsthemen basieren. Die vergleichende Bewertung erfolgt in Bezug auf Kriterien, die durch die Nachhaltigkeitsratingagentur vorgegeben werden, oder in Bezug auf die Wettbewerber. Einige Nachhaltigkeitsratings umfassen Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien gemeinsam in einem Rating, während andere Nachhaltigkeitsratings sich auf einen bestimmten Aspekt von Umwelt, Soziales oder Governance fokussieren. Nachhaltigkeitsratingagenturen können nach dem unterschieden werden, was sie messen. Die übliche Form besteht in einer Nachhaltigkeitsrisikobewertung, bei der die Risikoexposition und das Management der Unternehmen analysiert werden. Es gibt auch Nachhaltigkeitswirkungsbewertungen, die die Auswirkung einer Entität auf ein bestimmtes Nachhaltigkeitsthema bewerten. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl an anderen Nachhaltigkeitsratingagenturen, die Aspekte wie die Berichterstattung oder andere spezifische Themen wie klimabezogene Themen bewerten (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 58).
Da Nachhaltigkeitsratings üblicherweise die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen ermitteln, sind sie von Ansätzen, die die nachhaltige Entwicklung von Staaten bewerten, zu unterscheiden. Es gibt Ansätze, die die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts modifizieren. Dazu gehört beispielsweise der Measure of Economic Welfare (MEW) von Nordhaus und Tobin (1972) oder der Index of Sustainable Welfare (ISEW) von Daly und Cobb (1994), der später zum Genuine Progress Indicator (GPI) (Cobb et al. 1995) weiterentwickelt wurde. Außerdem gibt es Ansätze, die das Bruttoinlandsprodukt als einzelnen Indikator mit weiteren Indikatoren zu einem Index aggregieren. Dazu zählt beispielsweise der Human Development Index (HDI) des United Nations Development Programme (1990). Darüber hinaus wurden Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt entwickelt, die ausschließlich die Lebenszufriedenheit messen, beispielsweise der Inequality-Adjusted Happiness Index von Veenhoven und Kalmijn (2005) und der Gross National Happiness Index aus Buthan (Ura et al. 2012). Zufriedenheit wurde auch ergänzend in Indizes mitaufgenommen, wie zum Beispiel der Happy Planet Index (HPI) der New Economics Foundation (2006), der World Happiness Report der Vereinen Nationen (Helliwell et al. 2012) oder der Better Life Index der OECD (2013). Als Alternative zum Bruttoinlandsprodukt wurden auch Ansätze entwickelt, die Indikatoren nicht aggregiert in einem Index zusammenfassen, sondern einzeln darstellen. Dazu zählen die 169 Indikatoren der UN-Ziele der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung (United Nations 2015). Mit den Sustainabiliy Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung (2022) können auf Länderebene auch nachhaltige Politikergebnisse ermittelt werden. Mit diesen Daten lässt sich beispielsweise untersuchen, welcher Zusammenhang zwischen Demokratiequalitäten oder Good Governance und nachhaltigen Politikergebnissen besteht (Bandelow und Hornung 2022). Da diese Arbeit den Fokus auf Unternehmen und nicht Staaten legt, werden die in diesem Abschnitt genannten Ansätze in vorliegender Arbeit nicht weiter untersucht.
Die Nachhaltigkeitsratingagenturen sind deutlich von Kreditratingagenturen abzugrenzen. Beide Agenturen stellen zwar ein wesentliches Instrument für die Orientierung bei Investitionsentscheidungen dar. Während aber Kreditratingagenturen den Fokus auf die klassischen finanziellen Themen, wie die Kreditwürdigkeit oder das Ausfallrisiko von Emittenten, legen, bewerten Nachhaltigkeitsratingagenturen mithilfe von ESG-Kriterien die Nachhaltigkeitsleistung und -auswirkungen von Unternehmen. Sie stellen Informationen über andere, möglicherweise finanziell relevante, Themen zur Verfügung. Die beiden Arten von Ratingagenturen haben unterschiedliche Geschäftsmodelle, Unabhängigkeiten, Methoden und Kunden. So werden Kreditratingagenturen beispielsweise üblicherweise von den Emittenten bezahlt, während es bei den Nachhaltigkeitsratingagenturen meist Investoren sind. Im Kern bewerten und vergleichen Nachhaltigkeitsratingagenturen die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen, Ländern und anderen Wertpapieremittenten hauptsächlich in den Bereichen, in denen für die Emittenten die größten Nachhaltigkeitsherausforderungen existieren. Die analytische Arbeit basiert in erste Linie auf öffentlich verfügbaren Informationen, die von den Emittenten oder Drittanbietern bereitgestellt werden. Darüber hinaus werden auch Informationen verarbeitet, die im direkten Austausch mit den Emittenten gesammelt werden. Unternehmen und Finanzinstitutionen, die kreditsensitive Geschäfte durchführen, verwenden neben Kreditratings auch Nachhaltigkeitsratings, um die Gegenparteirisiken besser zu bewerten. Investoren verwenden üblicherweise Nachhaltigkeitsratings, die auftragsunabhängig erstellt werden, während Unternehmen und andere Emittenten auch freiwillig die Erstellung von Nachhaltigkeitsratings in Auftrag geben. Wenn Nachhaltigkeitsratings beauftragt wurden, erfolgte die Bezahlung meist über die Emittenten (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 75 ff.).
Schäfer et al. (2006, S. 22 ff.) nähern sich dem Thema der Nachhaltigkeitsratings mit dem allgemeinen Konzept eines „Nachhaltigkeitsbewertungssystems“, das als Instrument einen Markt für Kommunikations- und Sanktionsprozesse über Nachhaltigkeit institutionalisiert, und unterscheidet die Nachhaltigkeitsbewertungssysteme nach den Erstellern: Inhouse-Analysten, Ratingagenturen und Indexanbieter.
Inhouse-Analyseabteilungen sind jedoch wenig transparent. Es existieren kaum Informationen, welche Finanzinstitutionen über eine solche Abteilung verfügen und wie diese arbeitet. Einer der wenigen Vermögensverwalter, der seinen Research-Prozess transparent macht, ist die DZ Bank AG. Sie zeigt, dass die Auswahl der Unternehmen auch auf Nachhaltigkeitsratings, in diesem Fall Sustainalytics, basiert (DZ BANK AG 2018). Aufgrund der begrenzten Information und da die meisten Inhouse-Analysten, wie die DZ Bank, sich auch auf Nachhaltigkeitsratingagenturen stützen, werden die Inhouse-Analysten nicht weiter untersucht.
Als weiteres Nachhaltigkeitsbewertungssystem werden von Schäfer (2012, S. 24) Nachhaltigkeitsindizes aufgeführt. Sie werden von Indexanbietern erstellt, indem sie eine Liste von gewichteten Aktien aus einem breiten Aktienuniversum auf Basis von Nachhaltigkeitskriterien auswählen (Slager 2015, S. 393).
Indizes und Benchmarks werden herangezogen, um die Performance des Marktes und von Portfolios einschätzen zu können. Die wichtigsten Indizes, die oftmals mit dem Markt gleichgesetzt werden, betrachten eine begrenzte Anzahl an großen Unternehmen. Benchmarks leisten einen indirekten, aber wichtigen Beitrag für die Kapitalallokation. Obwohl viele Indizes nicht die gesamte wirtschaftliche Situation widerspiegeln, werden sie oft so wahrgenommen. Sie werden häufig als Barometer zur Bewertung der Entwicklung des Aktienmarktes herangezogen (EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance 2018, S. 53).
Nachhaltigkeitsindizes unterscheiden sich von den klassischen sehr umfassenden Indizes des Gesamtmarktes, da sie bestimmte Nachhaltigkeitskriterien einbeziehen, mit denen eine Auswahl an Wertpapieren vorgenommen wird. Alle Indizes werden mit Regeln entwickelt, die sicherstellen, dass die Auswahl der Wertpapiere objektiv und konsistent vorgenommen wird (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 64).
Mit dem Domini Social 400 Index entstand 1990 der erste Nachhaltigkeitsindex in den USA. Erst eine Dekade später kamen weitere Nachhaltigkeitsindizes wie der Dow Jones Sustainability Index (DJSI), der Financial Times Stock Exchange-Index (FTSE4Good) und der Ethibel Sustainability Index (ESI) hinzu (Schäfer et al. 2006, S. 157).
Nachhaltigkeitsindizes werden auch allgemeiner als Nachhaltigkeitsrankings bezeichnet, die oftmals gegenüber Nachhaltigkeitsratings abgegrenzt werden. Nach SustainAbility (2018, S. 4) werden bei einem Ranking Unternehmen mit einem Bewertungssystem aufgelistet und in eine Reihenfolge oder Gruppierung gebracht.
Ein Ranking ist eine Liste, die Unternehmen oder Finanzprodukte auf Basis der Nachhaltigkeitsperformance klassifiziert und nach einem spezifischen Einstufungssystem in eine Reihenfolge, Gruppierung oder Priorisierung bringt. Oftmals sind Rankings jedoch nur ein anderer Output eines Nachhaltigkeitsratings, da das Einstufungssystem im Wesentlichen der Methode des Nachhaltigkeitsratings entspricht (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 60).
Da die Erstellung eines Indizes oder Rankings durch die Festlegung einer Reihenfolge bzw. einer Einordnung von Unternehmen in eine Gruppe eine Nachhaltigkeitsbewertung voraussetzt, handelt es sich lediglich um eine bestimmte Form der Ergebnisdarstellung eines Nachhaltigkeitsratings. Es wird daher im weiteren Verlauf der Arbeit die Unterscheidung zwischen Indexanbieter und Nachhaltigkeitsratingagentur nicht vollzogen, sondern auch bei dem Indexanbieter von einer Nachhaltigkeitsratingagentur gesprochen.
Die meisten Nachhaltigkeitsratingagenturen entstanden in den 1970er Jahren. Die ersten Nachhaltigkeitsratingagenturen wurden in den USA gegründet, um die Bedürfnisse von institutionellen Anlegern wie Kirchen, Stiftungen und Pensionsfonds zu befriedigen. In den 1980er Jahren entwickelten sich unter Menschen- und Verbraucherrechtsorganisationen kundenorientierte Bewertungssysteme, die die Unternehmen nach ethischen, sozialen und Umweltkriterien bewerteten. In Großbritannien legte EIRIS 1985 den Grundstein für Nachhaltigkeitsbewertungen für britische Investoren. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien wurde diese Entwicklung stark von religiösen Institutionen unterstützt. Ab den 1990er Jahren entwickelten sich weltweit eher kapitalmarktorientierte Ratingagenturen, die als unabhängige Finanzmarktintermediäre in den Markt traten. An diesem Trend waren auch Banken und institutionelle Investoren beteiligt, die für ihre eigenen Finanzprodukte Methoden entwickelten oder aufkauften (Schäfer et al. 2006, S. 156 f.).
Bis in die 1990er Jahre wurden Nachhaltigkeitsratings von Unternehmen kaum beachtet. Mit der Zeit haben sich die Unternehmen aber intensiver mit Nachhaltigkeitsratings auseinandergesetzt und begannen, die Ergebnisse stärker intern und extern zu kommunizieren (Avetisyan und Hockerts 2017, S. 318).
Zudem wurden ab den 2000er Jahren zunehmend auch konventionelle Kreditratings auf diesen Trend aufmerksam und haben vorsichtige Entwicklungen in Richtung Nachhaltigkeitsratings getätigt (Schäfer et al. 2006, S. 26).
In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich eine große Vielfalt an Ratingprodukten. Schäfer et al. (2006) identifizierten für das Jahr 2006 71 Institutionen mit einem Nachhaltigkeitsbewertungssystem. Während bei der Untersuchung von SustainAbility im Jahr 2013 noch 50 Nachhaltigkeitsratingagenturen mit 100 Nachhaltigkeitsratings betrachtet wurden, waren es in der Erhebung der Global Initiative for Sustainability Ratings mittlerweile mehr als 600 Nachhaltigkeitsratingprodukte (SustainAbility 2018, S. 3). Nach einer Studie von KPMG umfasst der weltweite Markt für Nachhaltigkeitsratings 150 Nachhaltigkeitsratingagenturen. Es wird geschätzt, dass etwa 30 bis 40 Nachhaltigkeitsratingagenturen ihren Sitz in Europa haben (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 16).
Im Markt gab es in den letzten Jahren den Trend zu einer Konsolidierung der etablierten Nachhaltigkeitsratingagenturen durch Übernahmen von klassischen Finanzinvestmentanalyseunternehmen und gleichzeitig ein Wachstum der Gesamtanzahl an Nachhaltigkeitsratingagenturen durch den Markteintritt von neuen Wettbewerbern. Allerdings ist es für die neuen Wettbewerber herausfordernd, mit den großen Nachhaltigkeitsratings mitzuhalten, da ein großes Investmentvolumen notwendig ist, um eine glaubwürdige Alternative zu schaffen, die eine Vielzahl an gesellschaftlichen Themen mit tausenden Datenpunkten von tausenden Unternehmen umfasst (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 8).
Avetisyan und Hockerts (2017, S. 323) identifizierten auf Grundlage einer vertieften Analyse dieses Konsolidierungsprozesses drei Wachstumsstrategien der Nachhaltigkeitsratingagenturen: organisches Wachstum, Partnerschaften und M&A (Merger and Acquisitions).
Während sich das organische Wachstum durch Eröffnung von weiteren Standorten und mithilfe von Partnerschaften auf eine regionale Ebene beschränkte, konnte dieser regionale Radius durch M&As deutlich erweitert werden, sodass das Wachstum in einer globalen Dimension stattfand.
Avetisyan und Hockerts (2017, S. 324) führen den Konsolidierungsprozess im Ratingmarkt auf wirtschaftliche Ursachen zurück. Zum einen entstehen durch einen Zusammenschluss Skaleneffekte, was den Unternehmen ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell ermöglicht. Zum anderen führt eine Kooperation zu einer höheren Marktmacht, und die Synergieeffekte mit der erworbenen Agentur erleichtern eine Standardisierung.
Aktuell wurden zehn bis 15 wesentliche Nachhaltigkeitsratingagenturen identifiziert. Dazu zählen: Bloomberg, CDP, FTSE Russell, ISS-ESG, MSCI, Refinitiv, RepRisk, RobecoSAM, Sustainalytics und Vigeo Eiris (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 15).
Wichtige Anbieter wie MSCI, S&P, Moody’s, Fitch und CDP haben ihren Sitz in Nordamerika oder dem Vereinigten Königreich. Alle haben jedoch auch Standorte in der EU, da ein Teil Anbieter übernahmen, die vorher ihren Hauptsitz in Europa hatten. Dazu zählen beispielsweise, Sustainalytics, Vigeo Eiris, Oekom und SAM. Darüber hinaus gibt es noch 30 bis 40 kleinere Anbieter für nachhaltigkeitsbezogene Ratings, Daten und Research-Produkte und Dienstleistungen, die in der EU angesiedelt sind (Europäische Kommission, Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion 2021, S. 7 f.). Auch wenn der Konsolidierungsprozess überwiegend wirtschaftliche Gründe hat, bringt er mit sich, dass die Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Unternehmen durch Nachhaltigkeitsratings weltweit immer weiter harmonisiert werden und ein globales Bild von Nachhaltigkeitsanforderungen entsteht. Im Abschnitt
5.4 wird vertieft darauf eingegangen.
Voraussetzung für eine Selbststeuerung ist eine Selbstbeschreibung, die durch eine Fremdbeschreibung beeinflusst werden kann. Nachhaltigkeitsratings ermöglichen eine Fremdbeschreibung in Bezug auf Nachhaltigkeit, wodurch die gesellschaftlichen Auswirkungen von Organisationen beschrieben werden können.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass für eine Veränderung der Operationsweise von Systemen deren Differenzen, mit denen sie beobachten, verändert werden müssen. Im Wirtschaftssystem erfolgt die Steuerung durch die Geldmengendifferenz. Eine Veränderung der Differenz ist jedoch nur durch eine Selbststeuerung möglich, indem das wirtschaftliche Programm in Form von Preisen verändert wird. Die Berücksichtigung der Gesellschaft ist nur möglich, wenn die eigene Selbsterhaltung nicht gefährdet wird, weshalb die gesellschaftliche Reflexion begrenzt werden muss. Da das Wirtschaftssystem sich gerade durch die Differenz zur Gesellschaft auszeichnet, stellt die Gleichstellung der Wirtschaft mit der Gesellschaft eine Paradoxie dar. Die Berücksichtigung der Gesellschaft ist daher nur möglich, indem die Illusion der Beobachtung der Gesellschaft in der Wirtschaft invisibilisiert wird. Dies erfolgt beispielsweise durch die Illusion eines grünen Wachstums. Mit einer Begrenzung der Beobachtung auf die Gesellschaftsthemen, die mit dem wirtschaftlichen Code relevant sind, kann die Differenz der Beobachtung des Wirtschaftssystems verändert werden.
Da die Programme der Wirtschaft nur durch Organisationen verändert werden können, kann die gesellschaftliche Umwelt nur berücksichtigt werden, indem die Reflexion in Entscheidungen auf wirtschaftliche Gesellschaftsthemen begrenzt wird. Dies erzeugt die Scheinsicherheit, dass die Berücksichtigung der Gesellschaft wirtschaftlich ist. Im Finanzsystem wird diese Scheinsicherheit mit Korrelationsanalysen zwischen Nachhaltigkeitsleistung und Finanzleistung nachgewiesen. Im Unternehmen wird dies durch den Business Case für Nachhaltigkeit dargestellt. Dies ist jedoch eine Illusion, da es auch gesellschaftliche Themen gibt, die nicht mit der Logik des Wirtschaftssystems vereinbar sind. Durch die Latenz, die diese Möglichkeit verschleiert, wird es denkbar, dass die gesellschaftlichen Erwartungen ohne Überlastung in die wirtschaftlichen Entscheidungen Eingang finden. Durch diese Begrenzung der Reflexion auf wirtschaftlich relevante Gesellschaftsthemen kann das Wirtschaftssystem zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft beitragen.
Eine stärkere begrenzte Reflexion der Gesellschaft im Wirtschaftssystem ist nur durch Selbststeuerung möglich. Selbststeuerung basiert auf Selbstbeobachtung, die sich in einer Selbstbeschreibung manifestiert. Für eine Veränderung der Steuerung muss eine andere Selbstbeschreibung entstehen.
In wirtschaftlichen Organisationen erfolgt die Selbstbeschreibung üblicherweise über Geschäftsberichte auf Basis der doppelten Buchhaltung. Da bei der Selbstbeschreibung durch die doppelte Buchhaltung viele Themen vernachlässigt werden und die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen keinen Eingang in die Kosten-/Nutzenabwägung finden, entstand mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung eine alternative Selbstbeschreibung, die eine höhere gesellschaftliche Reflexion ermöglicht. Durch den Trend in Richtung einer integrierten Berichterstattung mit wirtschaftlich relevanten Gesellschaftsthemen wird die gesellschaftliche Reflexion begrenzt und die Paradoxie der Gesellschaft in der Wirtschaft invisibilisiert, was die Berücksichtigung von gesellschaftlichen Themen erleichtert.
Für eine externe Steuerung von Organisationen zum Zweck einer stärkeren begrenzten Reflexion können Fremdbeschreibungen als Steuerungsinstrument herangezogen werden. Mit anderen Fremdbeschreibungen kann die Selbstbeschreibung der Organisation, und somit auch die Selbststeuerung, beeinflusst werden.
Bisherige Fremdbeschreibungen von Organisationen haben sich stark an der wirtschaftlichen Rationalität mit einer Differenz zur internen Umwelt des Wirtschaftssystems orientiert. Für die Fremdbeschreibung von Unternehmen mit einer Referenz auf die externe Umwelt des Wirtschaftssystems haben sich mit Nachhaltigkeitsratingagenturen spezialisierte Institutionen gebildet. Da Nachhaltigkeitsratingagenturen sowohl mit Finanzakteuren als auch mit Unternehmen kommunizieren, spielen sie eine zentrale Rolle bei den Fremdbeschreibungen der gesellschaftlichen Umwelt.
Voraussetzung für eine Fremdbeschreibung mit Referenz auf die gesellschaftliche Umwelt ist die Messbarkeit der gesellschaftlichen Themen, die bei Organisationen beobachtet werden. Die Basis dafür ist eine einheitliche Definition von Corporate Social Performance, mit der die gesellschaftliche Reflexion beschränkt werden kann. Es haben sich mit der Zeit spezialisierte Agenturen herausgebildet, die die gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmen messen. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Anzahl der Nachhaltigkeitsratingagenturen und der gleichzeitigen Konsolidierung des Marktes entwickelten sich die bisher regionalen Agenturen zu internationalen Organisationen mit einer globalen Reichweite. Die methodischen Ansätze der Nachhaltigkeitsratingagenturen und deren Herausforderungen werden in Kapitel
5 vertieft.